The same procedure as last year? The same procedure as every year! Tagwache 0430, Flug nach Mailand, neun Stunden praktisch ohne Nahrungszufuhr (sieht man von je einem Espresso bei Honda, KTM und BMW ab) im sportlichen Touringtempo per Pedes durchs Messegelände und schließlich wieder mit dem Flieger zurück nach Wien, wo ich noch vor 23 Uhr die Wohnungstür aufsperrte. Hatte ich mir nicht letztes Jahr vorgenommen, zumindest zwei EICMA-Tage einzuberaumen? Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, einer muss reichen! Tut es natürlich nicht annähernd, um das gesamte Messe-Angebot der unzähligen Aussteller in sieben Hallen wenigstens einigermaßen unter die Lupe zu nehmen, weshalb es diesmal hier auch keinen allgemeinen Modell-Überblick der wichtigsten Hersteller gibt (das findet man anderswo in Netz und Fachpresse), sondern das ganze nur mit den Augen des Wolfs betrachtet. Supersportler mögen aufregend sein, Naked Bikes Nerven kitzelnd, Chopper cool und Tourer praktisch. Mich lockten aber vor allem die Neuheiten am Reiseenduro-Sektor nach Italien.
Und da kommt 2018 wieder einiges auf uns zu, auch wenn man auf die beiden womöglich spannendsten Motorräder noch ein Jahr warten wird müssen. Die Rede ist von der KTM 790 Adventure, die auf der EICMA erstmals gezeigt wurde und viele Adventure-Rider mit sabbernden, offenen Mündern dastehen ließ, sowie Yamahas Ténéré 700, die schon vor einem Jahr als Studie ähnliche Gelüste weckte, nun aber der definitiv vorhandenen Fangemeinde weiter Geduld abverlangt. Honda hatte mit dieser modernen Version des Anfütterns der Klientel begonnen, als man die Africa Twin zunächst häppchenweise als True Adventure zeigte, ehe sie 2016 dann endlich bei den Händlern stand.
Diesmal hat Honda keinerlei Spielchen betrieben, sondern gleich Nägel mit Köpfen gemacht: Zwei Jahre nach der Wiedergeburt des Mythos Africa Twin wurde dieser die CRF1000L Africa Twin Adventure Sports zur Seite gestellt. Mehr Federweg, mehr Bodenfreiheit, eine höhere, „enduromäßigere“ Sitzbank, großes Windschild, Heizgriffe, großer Motorschutz, Sturzbügel und ein um 5,4 Liter gewachsener Tank sollen aus dem Bestseller einen Fernreisespezialisten für alle Wege machen. Die Leistung blieb mit 95 PS unverändert, Ride by Wire, vier Fahrmodi und ein überarbeiteter Motor sorgen aber für mehr Durchzug. Übrigens auch bei der „normalen“ Africa Twin, die dank einer Lithium-Ionen-Batterie um zwei Kilo leichter wurde. Die Adventure Sports wird es zum Jubiläum als Reminiszenz an die Urahnin ausschließlich in der klassischen Tricolore-Lackierung geben, in der vor exakt 30 Jahren die erste Africa Twin auf den Markt gekommen ist. Der Preis ist durchaus attraktiv und übersteigt nicht jenen der „Normalen“ inklusive der angebauten Teile aus dem Zubehörkatalog, noch ohne Montage, die Reichweite soll um die 500 Kilometer betragen, wie Philipp Kornfeld, Verkaufsleiter von Honda Österreich im ausführlichen Gespräch verriet. Ich habe mit Wohlwollen festgestellt, dass die Adventure Sports nun „erwachsene“ Fußrasten fürs Stehendfahren montiert hat und bin schon sehr gespannt, wie sich das Teil fährt. Wobei ich mir eine Africa Twin mit dem schlanken Original-Tank und den offroadmäßigen Features wie Bodenfreiheit, Federweg etc. auch spannend vorstellen könnte…
Mit richtig großen Erwartungen schleppte ich meine Kameras gleich als erstes zum Triumph-Stand, hatten die Briten doch mit einem erst knapp zwei Wochen vor der EICMA in sozialen Netzwerken lancierten Video die Vorfreude auf völlig neue Tiger-Modelle weltweit kräftig geschürt. Die suchte ich zwar vergeblich, rundum modifiziert sollten die Raubkatzen aber den Wandel der Zeit richtig gut hinbekommen haben. Unter dem Motto "Bewährtes verbessern" trimmten die Briten ihre Reiseenduros fit für die gestiegenen Ansprüche des modernen Reise-Enduristen. Auch wenn vor allem die Tiger 800 XC und XR Modelle optisch unverwechselbar geblieben sind, so sorgen über 200 (!) Neuerungen bzw. Verbesserungen de facto dann doch für ein (eben fast) neues Motorrad. Ins Auge springt dabei gleich das aus der Street Triple bekannte 5 Zoll große, individuell im Erscheinungsbild einstellbare TFT-Farbdisplay, das die bisherigen Amaturen ablöst, die LED-Beleuchtung im Triumph-Stil schaut nicht nur gut aus, sondern sorgt auch für bessere Sicht bzw. Sichtbarkeit. Die weiteren wichtigsten Veränderungen: Kräftige Brembo-Bremsen vorne sollen weit bissiger zupacken, der überarbeitete (und etwas leichter gewordene) Motor soll punkto Ansprechverhalten und Drehfreude zugelegt haben. Gewicht wird auch beim schlankeren Auspuff gespart, der obendrein mit einem satteren Klang aufwarten soll. Das Windschild ist in fünf Stufen mit nur einer Hand verstellbar. Während bei der XC das Fahrwerk ja bereits in der letzten Modellpflege auf WP "aufgerüstet" worden ist, hat jetzt auch die XR-T ein neues, besseres (Showa)-Fahrwerk spendiert bekommen, womit auch dieses voll einstellbar ist.
Kurz: Ich bin schon sehr gespannt, nächstes Jahr ein "neues" Motorrad zu testen, das vor "Kinderkrankheiten" weitgehend gefeit sein sollte.
Die ebenfalls auf der EICMA gezeigte, Transmontana genannte "Ralley-Variante" von der Tiger 800 XC wird es leider so nie zu kaufen geben, auch nicht in einer Kleinserie. "Das war eine Privat-Initiative von unseren Entwicklungsfahrern David und Felipe Lopez, freilich mit Werksunterstüzung", musste mich Triumph-Pressesprecher Uli Bonsels enttäuschen – das Ergebnis lieferte auch Erkenntnisse, die in die Entwicklung der neuen 800er-Modelle miteingeflossen sind – und zeigt, was mit dem kleinen Tiger aus Hinckley möglich wäre...
Sofort ins Auge stechen die Veränderungen der neuen Triumph Tiger 1200 XC und XR Modelle – nicht nur das "Explorer" im Namen ist weggefallen, sondern auch das eine oder andere überflüssige Pfund. Das Motorrad kommt auf jeden Fall optisch schlanker, mehr wie eine größere Variante der 800er daher. Ebenfalls mit dem 5-Zoll-TFT-Display, beleuchteten Lenker-Amaturen oder Bedienung über Joystick etc. ausgestattet – dazu kommt das adaptive, schräglagengesteuerte Kurvenlicht. Alles eben, was ein Topmodell haben muss! Auch der Motor wurde überarbeitet und leistet nun 141 PS. Was die Triumph Tiger 1200 zur aktuell stärksten Reiseenduro mit Kardan-Antrieb macht. Wie überhaupt dieser süchtig machende Triple, ob beim großen oder kleinen Tiger, für mich immer noch das entscheidenste Kaufargument ist – solange sich Yamaha nicht dazu aufraffen kann, das ebenfalls wunderbare Aggregat der Tracer 900 in eine Reiseenduro zu verpflanzen, ist Triumph in diesem Bereich (fast) konkurrenzlos.
Groß war der Andrang bei der mit Spannung erwarteten Präsentation der neuen Mittelklasse-Modelle am Reiseenduro- bzw. GS-Sektor von BMW. Nicht einmal die Händler wussten bis zur EICMA, wie die Neue nun heißen sollte, "ob es wieder eine 800er oder eine 900er wird", wie mir Niki Krutak von Touratech Österreich verriet. Es wurde eine F850 GS, die in die Fußstapfen der bei Offroad-Reisenden sehr beliebten F800 GS tritt. Gewachsen in der Leistung, wo sie nun mit den 95 PS aus dem neuen Reihen-Zweizylinder mit 853 ccm auch in der Africa-Twin- bzw. Tiger-800-Klasse spielt. LED-Scheinwerfer und -Tagfahrlicht bzw. ein 6,5-Zoll-TFT-Farbdisplay sind als Sonderausstattung erhältlich, ebenso die über die Serienmäßigen Fahrmodi "Rain" und "Road" hinausgehenden Modi "Dynamic", "Enduro" und "Enduro Pro". Zugelegt hat die F850 GS gegenüber dem Vorgängermodell allerdings auch beim Gewicht, wo sie jetzt um 12 Kilo mehr vollgetankt 229 kg auf die Waage bringt. Ähnlichkeiten von Lackierung und goldenen Speichenfelgen in der Rallye-Variante mit bestehenden Bestsellern aus dem Land der aufgehenden Sonne sind natürlich rein zufällig…
…an der anderen Hand kann man BMW (so wie etwa auch Triumph) zugutehalten, dass man die größtenteils japanischen Spielchen der Vor- und Vor-Vor-Präsentation nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß mitmacht: Was die Deutschen auf der EICMA präsentieren ist im Regelfall danach auch bei den Händlern zu ordern.
Unter der 850er ist auch wieder eine "Onroad-Variante" mit dem selben Hubraum aber weniger PS (77) platziert, mit der BMW auch Einsteiger ansprechen will. Hält die F750 GS, was der von mir getestete Vorgänger versprach, wird sie ein alltagstaugliches Motorrad sein, das vielleicht nichts am besten, aber doch alles sehr gut kann.
Höhepunkt des Pressetages auf der EICMA war für mich und wohl die meisten Reise-Enduristen aber am KTM-Stand. Wo Dakar-Sieger Sam Sunderland nicht nur sein neues Arbeitsgerät – die neu entwickelte 450 Werks-Rally, die schon zuletzt beim Sieg von Hias Walkner bei der Rallye OiLibya Maroc im Einsatz gewesen ist – enthüllte. Sondern auch den mit Spannung erwarteten Prototypen der 790 Adventure R. Zwar wird die Serienproduktion erst in einem Jahr beginnen und das Motorrad demzufolge ab 2019 bei den Händlern stehen, der Vorgeschmack ist aber zumindest schon einmal richtig Appetit anregend und wird dem einen oder anderen die Wartezeit erträglich machen. Zumal die Eckdaten der nun serienreifen KTM 790 Duke R, mit der sich die Enduro den neuen Parallel-Twin teilt, äußerst vielversprechend klingen. In der Duke – dem wohl heißesten Kurvenräuber, der in Mailand präsentiert worden ist, auch wenn es dieser rattenscharfe Auspuff der Studie (erwartungsgemäß) nicht auf die Straße schaffte – leistet er stolze 105 PS bei einem Trockengewicht von lediglich 169 Kilo…
Selbst wenn man für die Reiseenduro von diesen beeindruckenden Zahlen erfahrungsgemäß das eine oder andere PS abzieht und ein paar Kilo dazu addiert, bleiben immer noch ein zu erwartendes Leistungsgewicht bzw. eine Offroad-Performance, die unter Zweizylinder-Enduros ihresgleichen suchen können. Eine mehr als würdige Nachfolgerin der 950 Enduro, auf die zu warten sich wirklich lohnen könnte.
Nicht präsentiert wurde von den Österreichern entgegen den Erwartungen vieler Insider eine 390 Adventure, was hoffentlich nicht bedeutet, dass es noch zwei Jahre bis zu dieser dauert, sondern sie dann eben Ende 2018 schon als fertiges Projekt gezeigt wird. Soviel Vorsprung will man in Mattighofen BMW mit der "Baby-GS" dann ja wohl auch nicht lassen.
Der zweite ungekrönte, weil eben immer noch nicht fertige, EICMA-Star im Adventurebike-Sektor war auf dem Yamaha-Stand zu finden. Nicht mehr ganz so radikal wie noch vor einem Jahr als T7-Studie (Bild ganz links unten), aber immer noch aufregend genug, um Begierden zu wecken, soll die Yamaha Ténéré 700 World Raid die alten Traditionen der Japaner neu aufleben lassen. Um den hohen Ansprüchen gerecht zu werden, schickte man den Prototypen bereits einmal um die Welt: Was eine echte Ténéré sein und das Erbe der legendären Modelle der 1980er und 1990er-Jahre von der XT 600 Z Ténéré bis zur XTZ 750 Super Ténéré antreten will, muss schließlich vor allem robust und zuverlässig sein. Trotzdem erscheint mir die Frage nicht unberechtigt, ob man bei Yamaha nicht den richtigen Zeitpunkt zur Markteinführung verpasst(e), zumal der leistungsorientierte Teil der potentiellen Kundschaft dann zur KTM greifen könnte, die mit Sicherheit mehr Pferde ins Rennen schicken wird. Spannend bleibt die offenbar ernst gemeinte "Wiedergeburt" eines Mythos allemal.
Ein wenig im Schatten der neuen Panigale V4 stand bei Ducati auch eine sportliche Reiseenduro für die Straße mit beeindruckenden Zahlen auf der EICMA-Bühne: Die neue, 158 PS starke Multistrada 1260, die von einem neuen 1262-Kubik-Testastretta-Motor angetrieben wird und die es Ducati-like in verschiedenen Ausführungen bis hin zum dreifarbigen Top-Modell Pikes Peak geben wird. Näher angeschaut habe ich mir freilich auch das Sondermodell Pro der 160 PS starken Ducati Multistrada 1200 Enduro, das bereits diese Saison mit umfangreichem Zubehör wie Speichenfelgen, Sturzbügel samt LED-Zusatzscheinwerfer, kleiner Scheibe oder den grobstolligen Pirelli Scorpion Rally serienmäßig um Kundschaft buhlte. Sowas in der Art würde ich gerne für die Multistrada 950 sehen.
Nicht mehr ganz neu, weil beide bereits letztes Jahr auf der EICMA gezeigt, aber richtig interessante Motorräder für die Reise mit hohem Offroad-Anteil, sind die SWM Superdual sowie die AJP PR7. Beide bedienen sich übrigens desselben Motors, nämlich dem 600-Kubik-Einzylinder aus der ehemaligen Husqvarna 630, der in der Italienerin 55, in der Ibererin 60 PS leistet. Die SWM gibt es als straßenorientiertere Superdual T mit 19/17-Zoll-Bereifung sowie als Superdual X mit der klassischen Enduro-Bereifung von 21/18-Zoll, auf der auch die AJP daherrollt. Die PR7 der Portugiesen, die insgesamt sportlicher anmutet, wird neben der Standardvariante als Reiseenduro auch in einer Rallyversion mit verändertem Mapping, Roadbookhalter etc. angeboten. Würde mich reizen, die Dinger mal auszuprobieren.
Mit dem interessanten Prototyp einer Mittelklasse-Reiseenduro überraschte Moto Guzzi beim Heimspiel in Mailand. Die Italiener präsentierten die Concept V85, deren V2-Twin 80 PS aus 850 Kubik Hubraum leistet. Breiter Lenker, Speichenräder und solider Motorschutz zeigen, wo die Reise hingehen darf, das LED-Licht unterstreicht die moderne Interpretation des Themas. Bleibt abzuwarten, ob und wann Moto Guzzi eine serienreife Version unterhalb des hauseigenen Reiseflaggschiffs Stelvio nachlegt und damit eine lange Enduro-Tradition fortsetzt – man denke nur an die NTX 650, die Quota 1000 oder die V75 Baja, mit der man in den 1980ern bei der Dakar mitmischte.
Das sollte es so ziemlich gewesen sein, mit den wichtigsten Neuigkeiten am Reiseenduro-Sektor für die Motorradsaison 2018 oder eben zum Teil auch später. Die Modellpflegen der meisten anderen Anbieter beschränkten sich eher auf Detail-Änderungen oder neue Farbvariationen. Abschließend folgt noch ein kleiner fotografischer Streifzug durch die Hallen – schließlich verdient es auch das eine oder andere Model(l), das kein Adventure Bike ist, hergezeigt zu werde. Und, ach ja: Nächstes Jahr bleib ich dann vielleicht doch zwei Tage, um es weniger stressig zu haben..
© 11/2017
Mein neuer Helm:
Seit März fahre ich mit dem Touratech Aventuro Pro Carbon Jetzt bereit zur Anprobe & Testfahrt bei www.touratech.at
bzw. im Shop in Baden!
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Reisen ist tödlich
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Mark Twain
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