Zu Besuch bei CCM in Bolton (England)

Der Taxifahrer rümpfte die Nase – er hatte keinen Plan, als ich von meinem Hotel in Bolton zu CCM wollte, weder Adresse noch die kleine, auf Offroad-Bikes spezialisierte Motorradschmiede waren ihm ein Begriff. Unit 5, Jubilee Works. Wir fanden es schließlich doch, vor dem Eisengittertor hing ein großes Schloss, es dauerte bis ich auf die Idee kam, rund um das Gebäude herum zu gehen. Durch das halboffene Rolltor betrat ich schließlich zögerlich jene Halle, in der künftig pro Monat rund 30 Stück von der GP 450 Adventure zusammengebaut werden sollen, vom Band rollen wäre ein wenig übertrieben. Manch BMW-Händler bei uns hat einen größeren Verkaufsraum als die Werkshalle von CCM…

…der einzige anwesende Mechaniker (?) ließ sich vom Eindringling nicht wirklich stören, blickte nur kurz zu mir auf. "Jack Clews? Oben im Büro." Dann setzte er seine Tätigkeit fort, nämlich zwei Exemplare der GP 450 Adventure für unsere bevorstehende Ausfahrt bereit zu machen. Gleich vorweg, um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen. Ich besuchte Clews Competition Motorcycles, wofür das Kürzel CCM steht, quasi in der Ruhe vor dem Sturm – wenige Wochen bevor die Serienproduktion jenes Motorrads begann, das den Engländern eine erfolgreiche Zukunft bescheren soll. Es veranschaulicht dennoch recht gut den Unterschied in Dimension und Umgangsformen gegenüber den großen Motorradherstellern von Mattighofen über München bis nach Japan, wo man als betriebsfremde Person unmöglich unbemerkt am Empfang vorbeikommen würde.


Am Weg hinauf ins Büro kommt man nebst einer mit Alu-Koffern und elektronisch verstellbarem Fahrwerk ausgestatteten GP 450 an etlichen CCM-Modellen aus der Vergangenheit vorbei, die allesamt entweder im Offroad- oder SuperMoto-Bereich zu Hause waren. Jedes einzelne angekettet, um den (ungebetenen) Gast nicht auf dumme Gedanken zu bringen – sind ja schließlich auch einige echte Schmuckstücke darunter. Und sie zeugen von einer glorreichen Historie, auf die das 1971 von Alan Clews gegründete Unternehmen zurückblicken darf. Wobei der wirtschaftliche Erfolg mit den sportlichen Leistungen auf den Motocross- und SuperMoto-Strecken Großbritanniens nicht mithalten konnte und CCM schließlich 2004, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Besitz der Familie Clews, die das Unternehmen danach zurück kaufte, liquidiert werden musste.

"Motocross is our heritage"


Austin und Jack Clews
Austin und Jack Clews

Nach der Ausfahrt mit Junior Jack treffe ich den Technischen Direktor Austin Clews zum Kaffee. Ein freundlicher, hemdsärmeliger Typ, Motorradfahrer eben. Bereitwillig und ausführlich beantwortete er meine Fragen zu CCM im Allgemeinen und der GP 450 im Speziellen. Die Marke mag bei uns als Exot gelten, in England aber verbindet man mit ihr seit jeher Motorsport-Kompetenz. Neben zahlreichen Triumphen im MotoCross, SuperMoto und auf der Rundstrecke steht auch die Trophäe für den Konstrukteurs-Titel für eine hundertprozentige Finishing-Rate bei der berühmt-berüchtigten Paris-Dakar 1999 in der Vitrine, "wir hatten damals aber auch nur ein Motorrad am Start", wie Clews augenzwinkernd hinzufügt.

In den letzten Jahren engagierte sich CCM, das immer schon Motorräder mit Fremdmotoren auf eigenen Rahmen baute, wieder vermehrt im Motocross (Austin Clews: "Das ist unser Erbe") und fuhr dabei einen Britischen Indoor-Titel und Platz zwei in der offenen Meisterschaft ein. Dabei wurde auch schon der "Lite-Bond" Aluminiumrahmen der GP 450 verwendet bzw. entwickelt, "wobei wir zwei Jahre mit einem Rahmen Rennen gefahren sind, ohne ihn auch nur ein einziges mal zu tauschen", behauptet Clews.

Parallel dazu profilierte sich CCM als Hersteller von Militär-Fahrzeugen und produzierte unter anderem rund 2.000 Motorräder für die US-Army in Afghanistan. Stückzahlen, die es den Briten erst ermöglichten, das Projekt der GP 450 Adventure in Angriff zu nehmen. Läuft alles nach Plan, wird von aktuell zehn Mitarbeitern in naher Zukunft ordentlich aufgestockt, sollen nach den Plänen von Clews 30 weitere Arbeitsplätze geschaffen werden. Rahmen, Schwinge, Felgen sowie die meisten Anbauteile sind Eigenkonstruktionen von CCM, neben dem Motor kommen auch Federbein, Gabel oder Lenker von Fremdherstellern, wobei die motorsporterprobten Protagonisten nur zu Teilen griffen, die ihren Anforderungen genügen – und die Familie Clews weiß Motorräder über anspruchsvolle Pisten zu bewegen. Die GP 450 soll dem Endurowanderer bzw. Motorradreisenden, der sich gerne abseits von befestigten Straßen bewegt, auf den Leib geschnitten sein und dabei keineswegs der sportlichen Note des Hauses CCM abtrünnig werden. Vorhaben, die auf den ersten Blick bzw. nach ersten ausgiebigen Fahrten mit dem Motorrad gelungen scheinen, ein endgültiges Zeugnis wird freilich erst der Alltagsbetrieb bzw. die Haltbarkeit der Motorräder und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens liefern. Jedenfalls gibt es bei den großen Herstellern derzeit nichts vergleichbares von der Stange. "Sag denen bei KTM, dass das auch nicht nötig ist, sie mich leben lassen sollen", lacht Austin Clews und gewährt Einblick, wo er sich mit seinem Nischenprodukt platzieren will: "Die GP 450 Adventure ist kein herkömmliches Motorrad und daher auch schwer zu vergleichen, es ist mehr ein Lifestyle. Nicht nur für den, der um die Welt fahren will - ich denke, dass sie vor allem auch Leute ansprechen könnte, die schon zum Beispiel eine große GS in der Garage stehen haben, aber auch mal übers Wochenende mit etwas Leichterem ins Gelände wollen, ein Zweitmotorrad. Mit allen Möglichkeiten, bis hin zur elektronischen Fahrwerksverstellung.“

Diashow: Ein kleiner Rundblick durchs CCM-Werk

Und als ob es für den Besucher aus Österreich arrangiert worden wäre, kam ausgerechnet nach meiner ersten Ausfahrt mit Steve Halsall (im Bild links) ein Mann zurück, der gerade mit der GP 450 Adventure von England nach Portugal und wieder retour unterwegs gewesen ist. Seine Geschichte verdeutlicht, wie sie bei CCM ticken: Er war der erste, der das Motorrad, infiziert von ersten Präsentationen im Herbst 2013, bestellte – weil sich die Produktion gegenüber den ursprünglichen Terminen jedoch verzögerte und er die Reise auf die iberische Halbinsel für Mai schon lange geplant hatte, sagte ihm Austin Clews einfach, "er solle sich eines unserer Promotion-Bikes nehmen und wenn es scheiße ist, das auch überall erzählen. Aber vielleicht auch, wenn er damit zufrieden war…"

…nun, Halsall (der einen Mitas E-09 aufgezogen hatte) war nicht nur zufrieden, sondern begeistert, wie er mir im Gespräch bestätigte, und freut sich mehr denn je auf die Auslieferung seiner Maschine.

 

Unterm Strich war es wieder einmal hochinteressant, hinter Kulissen zu blicken, die den meisten verborgen bleiben. Es ist dem sympathischen Familienbetrieb aus Bolton jedenfalls zu wünschen, dass sie ihre Nische im Motorradmarkt gefunden haben und sich mit dem ehrgeizigen Projekt etablieren.

Das Taxigeld zurück ins Hotel ersparte ich mir genauso wie wahrscheinlich dem zu bestellenden Fahrer wieder eine längere Suche – wie selbstverständlich führte mich Austin im eigenen Auto zurück, da er ohnehin in Bolton zu tun hatte. Da drehten sich die Gespräche schon längst über die Ligurische Grenzkammstraße und sonstige Schotterhighlights in den Seealpen. Vielleicht geht sich ja mal dort eine gemeinsame Runde aus – wobei ich mich wohl reinhängen werde müssen, um an seinem Hinterrad zu bleiben. Er ist ja ein Clews…

 

CCM-Motorräder standen immer schon für erfolgreichen Offroad-Motorsport
CCM-Motorräder standen immer schon für erfolgreichen Offroad-Motorsport

© 07/2014


Im Dezember 2014 war ich auf Einladung von Austin Clews erneut im CCM-Werk in Bolton, auch um mich von den Fortschritten des GP-450-Projekts zu überzeugen. Mittlerweile ist die Produktion voll angelaufen (10 Motorräder pro Woche werden von Hand zusammengeschraubt), gibt es außerhalb Englands je einen Händler in der Schweiz, in Schweden und Polen, erste Motorräder dorthin werden noch um die Weihnachtszeit ausgeliefert, ein Bike geht demnächst nach Ungarn. Im Interview verrät der ehemalige Motocross-Champ Austin interessante Details über das Motorrad, seine Bauteile und den Stand der Dinge was Händler und Auftragssituation anbelangt:

© 12/2014