Ducati Scrambler Desert Sled • Modelljahr 2017

Ganz egal, wo die Eisdiele auch immer sein mag…

Auch wenn sie in Bologna den Vergleich angeblich nicht mehr hören können, weil man bei Ducati selbst die Wurzeln findet und etwa schon 1969 mit der Einzylinder-Scrambler 350 SS die legendäre Baja 1000 in Mexiko gewann – als ich die Desert Sled letzten November auf der EICMA erstmals in Natura vor mir stehen sah, musste ich augenblicklich an die selige XT-500 von Yamaha denken. An Jugendsünden bzw. -erinnerungen. An Verfolgungsjagden durch burgenländische Weingärten, aber auch schweißtreibende Kickstart-Erlebnisse. Letztere gehören mit dem schicken "Wüstenschlitten" von Ducati natürlich der Vergangenheit an, ganz gemäß des allgemeinen Retro-Trends steckt da ein modernes Motorrad im nostalgischen Kleid. Und ersteres ist selbstverständlich längst nicht mehr erlaubt.

Wobei es die Italiener mit der Desert Sled bzw. den ihr verpassten Offroad-Attributen durchaus ernst gemeint haben, nicht nur ein paar optische Schnick-Schnacks drauf schraubten, um der "normalen" Scrambler ein "wilderes" Aussehen zu verpassen. Vielmehr als Tank und Motor sind nämlich vom Standardmodell gar nicht übrig geblieben, womit sie sich auch vom Vorgängermodell, der Urban Enduro, kräftig unterscheidet: Das beginnt beim neuen, eigenständigen Rahmen mit verstärktem Hinterbau, setzt sich fort über eine solidere, um 2,5 cm längeren Schwinge, stabilere Gabelaufnahme, einem 19-Zoll-Vorderrad, einem neuen Lenker, dem verlängerten Radstand bis hin zu deutlich längeren Federwegen von 200 mm vorne wie hinten. Selbstredend beides voll justierbar. Das alles freilich auch zum Preis eines erhöhten Gewichts von trocken 191 und fahrfertig 205 kg sowie einer deutlich höheren Sitzbank – auf der Desert Sled thront der Fahrer nun schon enduromäßig auf 860 Millimeter Höhe, wohl nicht jedermanns bzw. -fraus Sache, wobei als Alternative auch einen niedrigerer Sitz (840 mm) erhältlich ist.

Acht Tage lang konnte ich eine nagelneue Ducati Scrambler Desert Sled, die erst unmittelbar vor meinem Test aus dem Karton ausgepackt und zusammengebaut wurde, auf meinen Hausstrecken bewegen. Im feschen Ducati-Rot, womit auch die XT rasch aus dem Kopf war. Und sie entpuppte sich nicht nur als Hingucker, sondern vor allem als solide Alltagsenduro bzw. alltagstaugliches Motorrad für nahezu jede Gelegenheit des täglichen Lebens. Gut, der Laptop musste in Ermangelung montierter Satteltaschen am Weg in die Redaktion in den Rucksack, aber in der zweiten Reihe will auf der Desert Sled sowieso niemand Platz nehmen, wenn's nicht unbedingt sein muss – hat zumindest die beste Sozia wo gibt behauptet. Alleine macht die Ducati jedoch richtig Spaß! Das liegt zum einen an diesem wunderbar kultivierten Zweizylinder, der dank seiner 75 PS auf der Straße flottes Vorankommen garantiert und auch abseits davon nicht überfordert. Da lassen sich auch mal heiklere Offroad-Passagen im Schritttempo mühelos überwinden, ohne dabei groß die Kupplung schleifen zu lassen. Das können viele Reiseenduros weniger gut.

Apropos moderne Reiseenduros. Auf der Scrambler braucht der Fahrer nicht darüber nachzudenken, ob der passende Fahrmodus eingelegt ist – es gibt keinen. Die Modi sitzen wie eh und je in der rechten Hand, Motorradfahren pur also, die Ducati spricht dabei sehr direkt aufs Gas an, die Leistungsentfaltung ist angenehm gleichmäßig. Das ABS verfügt über keine Offroad-Variante, mit der es sich nur am Hinterrad deaktivieren ließe, kann aber zumindest komplett weggeschaltet werden. Wozu man sich freilich erst einmal ein wenig mit der Menüführung des kleinen, runden LCD-Displays beschäftigten muss, viel mehr als die Geschwindigkeit ist darauf beim Fahren kaum abzulesen, der Drehzahlmesser nur schwer zu sehen und auf eine Ganganzeige wurde sowieso verzichtet.

Die Bremsen sind gut bzw. ausreichend und verzögern die Ducati auf der Straße auch bei flotter Kurvenfahrt ordentlich, theoretisch ließe es sich ja mit der Desert Sled 175 km/h schnell fahren. Die Höchstgeschwindigkeit ist bei dieser Art von Motorrad aber wohl eher nur eine Randnotiz, abgesehen davon, dass heizen auf Dauer ohne Windschutz ohnehin wenig Spaß machen würde. Mit dem feschen Scrambler will man beschwingt über Landstraßen cruisen oder Endurowandern, vielleicht auch mal mit einem Hunderter oder etwas mehr über Schotterpisten fliegen, das alles kann sie ohne Fehl und Tadel. Natürlich auch Großstadtdschungel, wo sie wendig genug ist, um auch im dichtesten Verkehr stets in Reihe eins an der Ampel zu stehen, Randsteine bedeuten im Bedarfsfall ja schon ob der ordentlichen Federwege kein Hindernis. Allerdings wird es dort richtig heiß am rechten Innenschenkel, wenn man mal die Füße auf den Boden stellt – der (schlanke) Auspuff strahlt leider ordentliche Hitze aus. Um das Bein bei den ohnehin schon hochsommerlichen Temperaturen nicht gänzlich zur Grillstelze verkommen zu lassen, begnügte ich mich meist damit, lediglich den linken Fuß abzustellen und den rechten beim Warten auf Grün auf der Raste zu belassen.

Apropos Fußrasten: Wie bei der Multistrada 950 lassen sich die dicken Gummiauflagen mit einem Handgriff entfernen, womit man nicht nur den Kniewinkel ein wenig entlastet sondern dann auch offroadtaugliche Stehilfen zur Verfügung hat, deren Aufstandsfläche zwar etwas größer sein könnte, die durch ihr zackiges Profil aber doch recht ordentlichen Halt bieten.

Die Sitzbank ist für eine Enduro meines Erachtens sogar richtig gut, wenn es auf Naturstraßen nass oder matschig wird, bekommt sie bzw. der Rücken des Fahrers dann jedoch schon ein wenig von dieser "Natur" ab…

…ebenso das Visier des Helms, weil der Dreck über den (etwas zu kurz geratenen?)  vorderen Kotflügel hinweg dem Fahrer voll ins Gesicht spritzt. Schweinwerfer-Schutzgitter und stabiler Motorschutz sind bei der Desert Sled übrigens serienmäßig mit an Bord, auf bei diesem Motorrad durchaus angebrachte Handguards hat man jedoch (der Optik bzw. Nostalgie wegen?) verzichtet.

Genehmigt hat sich die Ducati an der Tankstelle im Test alle 100 Kilometer im Schnitt 5,2 Liter Super, was in Verbindung mit dem 13,5-Liter-Tank eine Reichweite von über 250 Kilometer ergibt, in der Praxis füllt man aber wohl alle 200 Kilometer nach. Praktisch: Der wasserdichte USB-Stecker unter der Sitzbank.

 

"Sie gefällt mir ja wirklich gut, die Desert Sled. Aber ich muss nicht überall dabei sein. Einmal über das Kopfsteinpflaster der Wiener Höhenstraße und zweimal zum Heurigen bzw. Eissalon haben mir genügt, um festzustellen, dass das eher was für eine Person ist. Kaum Platz für die Sozia, nix zum Anhalten – für kurze Fahrten okay, Touren oder gar eine Reise (wohin dann mit dem Gepäck?) kann ich mir damit aber schwer vorstellen. Ein Wolf, mehr nicht – sorry.

Legende


Gespannt bin ich schon vor meinem Test auf die Reifen gewesen, da die Ducati Scrambler Desert Sled ja als erstes Motorrad ab Werk mit dem neuen Sorpion Rally STR von Pirelli ausgestattet worden ist. Ein Gummi, der auch für viele Fahrer von Reiseenduros interessant sein dürfte und nach und nach in den gängigen Dimensionen erhältlich sein soll. Zu Saisonbeginn 2017 waren diese ja für meinen Tiger noch nicht verfügbar, 2018 werde ich den Pirelli aber wohl einmal aufziehen – nicht zuletzt wegen des guten Eindrucks, den er auf der Desert Sled hinterlassen hat. Die in Anbetracht des Profils ruhig laufenden Reifen halten nach eine kurzen Einfahrphase auf Asphalt nicht nur die Spur sondern auch beherzte Schräglagen aus und streichen auch auf steileren Schotterpassagen nicht gleich die Segel. Gatsch mögen sie weniger, da sind die relativ flachen Profilblöcke dann doch rasch an ihren Grenzen – und Regen war mir in der Woche mit der Ducati keiner beschert, weshalb ich dazu auch nichts sagen kann.


+ Der kultivierte Motor lässt einen die Desert Sled auch im heiklen Gelände gut kontrollieren und dank 75 PS auf der Straße nicht verhungern

+ Die Offroad-Attribute sind kein optisches Schnick-Schnack sondern durchaus ernst gemeint

+ Coole Optik mit der man (nicht nur) vorm Eissalon in Reihe eins punktet

– Das kleine Display ist recht schwer abzulesen und in der Bedienung etwas gewöhungsbedürfig

– Kein Offroad-ABS bei dem man die Bremshilfe am Hinterrad deaktivieren könnte – das ABS lässt sich nur komplett wegschalten

– Keine Handprotektoren, die lässt sich Ducati als Zubehör bezahlen 



Fazit:

Natürlich ist man mit der Scrambler Desert Sled jederzeit für den Ausflug zur Eisdiele bereit. Dort macht man damit auch definitiv gute Figur, die Optik ist ein Hammer bzw. durch und durch harmonisch. Das beginnt bei den goldenen Drahtspeichenrädern und setzt sich in nahezu jedem Detail stilsicher fort. Doch die Ducati ist nicht nur etwas zum Anschauen, sondern macht auch beim Fahren Spaß, sowohl auf Landstraßen als auch unbefestigten Wegen. So gesehen darf die Eisdiele ruhig schon mal ganz oben auf der Alm liegen. Für in Österreich € 12.695,00 bekommt man natürlich auch bereits eine Reiseenduro mit dem dann doch größerem Einsatzbereich, aber Vernunft wird im Pflichtenheft des potentiellen Käufers sowieso nicht an oberster Stelle stehen. Und Emotionen sind bei dem Motorrad inklusive, würde ich mir eine Retro-Ducati anlachen wollen, dann wäre es diese. Sie taugt als Alltagsmoped, für den Abstecher ins Gemüse und bei der richtigen Streckenwahl bestimmt auch für die Reise allein.

© 08/2017