Ich geb's lieber gleich zu: Das Knie war in der Woche, in der ich mit der neuen Fireblade unterwegs gewesen bin, kein einziges Mal am Boden – zum Glück. Doch der anfängliche Respekt, der mich auf den ersten gemeinsamen Kilometern begleitete, wich rasch zunehmender Fahrfreude. Und am Schluss hätte ich sie am liebsten gar nicht mehr hergegeben. Nur damit wir uns verstehen: Wir sprechen hier von einem Motorrad, das fast soviele PS aufs Hinterrad bringt, wie meine drei Radln daheim in der Garage zusammen! 192 sind es, die die CBR1000RR Fireblade SP bei einem Gewicht von lediglich 195 kg vollgetankt und einem Drehmoment von 114 Nm aus dem Reihen-Vierzylinder quetscht – das sind immerhin 11 PS mehr bzw. sage und schreibe 15 kg weniger als beim auch schon alles andere als lahmen Vorgängermodell. Halleluja! Womit Honda die Fireblade zum 25-Jahr-Jubiläum zwar rein PS-mäßig nicht an die Spitze der aktuellen Fahnenstange hievt, aber vom eindrucksvollen Leistungsgewicht her definitiv wieder ganz laut in der obersten Liga des Supersport-Segments mitspielt.
Schlappe sieben Kilometer hatten das noch jungfräuliche Pressemotorrad sowie die aufgezogenen Diablo Supercorsa SP von Pirelli auf der Uhr bzw. am Gummi, als ich sie übernahm und gleich bei Temperaturen um die fünf Grad sowie im Schatten nassen Straßen loslegte. Da bekommst du den Reifen nicht warm und den Sicherheitsschalter im Kopf bzw. der rechten Hand nur schwer umgelegt – soviel Elektronik könnten sie dir gar nicht reinpacken in dieses fesche Ungeheuer von einem Motorrad.
Apropos. Ich schaue ja prinzipiell nie in ein Handbuch, diesmal aber schmeckte die Lektüre fast so spannend wie ein guter Thriller zum Kaffee – eigentlich unfassbar, was die da alles an modernster Technik verpflanzt haben, um das Ding auch für Otto Normalverbraucher fahrbar zu machen. Die wichtigsten Sachen im Schnelldurchlauf (denn wenn ich alles genau erläutere, ist es wahrlich kein "Kurztest" mehr): Wenn man will, kann man alle diese den Fahrer unterstützenden elektronischen Hilfen auch wegschalten, oder aber in den verschiedensten Modi die für einen selbst richtige Mischung aus Motorkraft, Traktionskontrolle (die bei Honda ja korrekterweise Drehmomentkontrolle genannt wird), Motorbremsleistung (!) oder Dämpfungscharakteristik der pipifeinen, semiaktiven Federelemente von Öhlins konfigurieren. Wheelie- und Stoppiecontrol, Schräglagen-ABS, Ride by Wire – alles selbstredend state of the art bei der Fireblade SP im 25. Modelljahr…
Als "Fast, Fun und Safety" bezeichnete Christian "Zwedi" Zwedorn von Honda Österreich die drei vorprogrammierten Fahr-Modi, als er mich kurz mit dem Höllengerät vertraut machte. In jedem dieser Programme sind die oben erwähnten Parameter unterschiedlich stark ausgeprägt, die volle Motorleistung (bei geringster Traktionskontrolle sowie härtesten Fahrwerkseinstellungen) hat man etwa nur im Mode 1, dazu gibt es noch zwei völlig frei konfigurierbare Einstellungen (Rider 1 und Rider 2), in denen man z.B. das persönliche Setup für seine beiden Lieblings-Rennstecken abspeichern könnte.
Wieviele PS in den jeweiligen Motorleistungs-Stufen von 1 bis 5 zur Verfügung stehen, verrät uns Honda nicht – aber selbst im "Safety"-Mode langt es allemal dafür, dem Porschefahrer beim Ampelstart die Tränen ins Gesicht zu treiben.
Dass der Bordcomputer alle nur denkbaren Informationen, vom Durchschnittsverbrauch über die Restreichweite usw. am schicken TFT-Display anzeigt, versteht sich von selbst, alles lässt sich übrigens – wie von der Africa Twin gewohnt – bequem auf zwei Schaltern mit der linken Hand ansteuern. Für den Ring steht ein Circuit-Modus zur Verfügung, auf dem man sich Rundenzeiten, die Zahl der zurückgelegten Runden, die jeweilige Differenz zur schnellsten Runde sowie Schräglagen- und Beschleunigungswerte anzeigen lassen kann.
Jetzt aber wirklich los! Der erste Gang geht mit einem hörbaren Klicken rein und wenig später blinkt es als Arbeitsnachweis der elektronischen Helferlein auch schon im Cockpit, wenn man die gar nicht blade sondern für eine 1000er vielmehr richtig schlanke Fireblade g'scheit los lässt. Hochschalten mit dem Quickschifter ohne Kuppeln macht Laune, auch in die andere Richtung runter wird die linke Hand nicht benötigt.
Natürlich muss diese Kraft auch gebändigt werden, bevor es ums Eck geht. Vor allem wenn man dies nicht im Stile eins Marc Marquez erledigen kann. Wird der Anker vor dem Kurveneingang geworfen, so beißen sich die Kletzln augenblicklich in die riesigen Bremsscheiben von Brembo, dass kein Auge trocken bleibt. Als Endurofahrer bist du solch eine Bremsleistung nicht gewöhnt (da wäre sie auch kontraproduktiv), man stellt sich aber bald darauf ein. Wie die Fireblade überhaupt ein Motorrad ist, das einem rasch vertraut wird, das handlich und in Anbetracht der Leistungs-Daten relativ einfach zu beherrschen ist. Die Gangwechsel gehen dank einer perfekt arbeitenden Anti-Hopping-Kupplung seidenweich vonstatten. Reißt man aber an der Ortsausfahrt den Gashahn auf, laufen sie noch am Hauptplatz zusammen – Zurückhaltung ist nicht ihr Metier, wird die Honda artgerecht bewegt, dann hört man das auch lauter als es vielen Anrainern entlang der Straße recht sein wird. Wobei man die wirklichen Qualitäten der neuen Fireblade SP, für die es in Österreich immerhin € 25.990,00 zu berappen gilt (die "normale" Fireblade ohne Öhlins, Quickshifter und verschiedenen Elektronik-Gimmicks gibt es um € 20.790,00, für die Superbike-Variante SP 2 wurde Ende April 2017 noch kein Straßenpreis ausgerufen) ohnehin nur auf der Rennstrecke erFAHREN kann. Vielleicht unterhalte ich mich diesbezüglich ja noch einmal mit den Honda-Leuten, aber auch auf der Straße wurden wir nach anfänglichen Reibereien bzw. kleineren Rutschern (beim Rausbeschleunigen aus der Kurve im Fast-Modus mit niedrigster Drehmomentkontrolle) bald fast richtig gute Freunde. Den vertrauten Weg zur Dopplerhütte rauf mit seinen vielen engen Kehren bin ich zwar nach wie vor mit meiner 690 Duke R schneller, bei der richtigen Streckenwahl ist die CBR1000RR aber eine Waffe. Deren Gebrauch den Täter mit einem breiten Grinsen unterm Visier in den Rückspiegel blicken lässt.
Ab und an muss man einfach über den Tellerrand schauen!
© 04/2017
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Reisen ist tödlich
für Vorurteile.
Mark Twain
Unter Motorradfahrern gibt es keine Fremden - nur Freunde, die man noch nicht getroffen hat.
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