Eine leichte Einzylinder-Enduro mit über 70 PS, die auf der Straße ebenso gute Figur macht, wie im richtig groben Terrain und mit der man rund 500 Kilometer weit kommt, ohne auftanken zu müssen? Gibt's ab Werk nicht? Doch! Husqvarna nahm sich der beliebten und bewährten 701 Enduro an, verpasste ihr einen Zusatztank, mit dem nun 25 Liter Sprit an Bord sind und spendete ihr das Kürzel LR für "Long Range", also Langstrecke, in der Modellbezeichnung. Herausgekommen ist ein Dualsport-Motorrad für die Reise, wenn man so will die erste "Hardcore-Einzylinder-Reiseenduro", seit KTM 2007 die Produktion der 640 Adventure eingestellt hat. Ich war im Juni 2020 knapp zwei Wochen damit auf den unterschiedlichsten Wegen unterwegs, um herauszufinden, wie sie sich fährt, wo ihre Stärken aber auch Schwächen liegen.
Das Basis-Modell ist ja schon einmal richtig gut: Stolze 74 PS (bei 8.000 U/min) leistet der bärenstarke Single aus dem Hause KTM/Husqvarna in seiner aktuellsten Ausbaustufe, das Drehmoment von 71 Newtonmetern liegt bei 6.750 U/min an. Damit bleibt er trotz einer mittlerweile wirklich beachtlichen Laufkultur immer noch das, wofür er als LC4 seit jeher gestanden ist: Ein sportliches Aggregat, das hoch gedreht werden will, nicht wirklich zum gemütlichen Cruisen gemacht, aber anno 2020 kann der stärkste Einzylinder am Markt sogar das. Neben Kurven-ABS und schräglagenabhängiger Traktionskontrolle sind im aktuellen Modelljahr auch zwei Fahrmodi mit an Bord (1 bzw. 2), die man auch als Straßen- bzw. Offroad-Modus bezeichnen könnte. Im Modus 1 beschreibt Husqvarna die Gasannahme als sportlich, greift die Traktionskontrolle früher bzw. auch schräglagenabhängig ein, im Modus 2 spricht das Gas etwas geschmeidiger an und die Traktionskontrolle geht in eine Art "Offroad-Modus", in dem es Schlupf am Hinterrad zulässt und so dem Fahrer erlaubt, kontrollierte Drifts hinzulegen oder auch das Vorderrad über Hindernisse zu lupfen. Da sich der Unterschied bei der Intensität der Gasannahme in der Praxis zwischen den beiden Fahr-Modi aber in Grenzen hält, war Modus 2 wegen dieser sportlicheren Umsetzung der Traktionskontrolle auch auf der Straße mein Favorit und dementsprechend fast immer aktiv. Aber auch im Modus 1 regelt die Traktionskontrolle keinesfalls "bemutternd", sondern dann, wenn es nötig ist, um die Sicherheit des Fahrers im Bedarfsfall zu gewährleisten.
Selbstverständlich lässt sie sich aber in beiden Modi auch komplett wegschalten, was ich auf unbefestigten Wegen auch so gut wie immer gemacht habe. Wird die Zündung abgedreht, ist die Traktionskontrolle beim nächsten Anstarten des Motors allerdings wieder aktiv, was sich bei kürzeren Trinkpausen (oder Fotostopps) damit umgehen lässt, den Motor einfach mit dem Killschalter bzw. Runterklappen des Seitenständers abzuschalten.
Auch das ABS lässt sich mit einem längeren Druck auf den entsprechenden Knopf gänzlich deaktivieren, was ich zwar nicht bei jedem Feld- oder Schotterweg tat, sehrwohl aber, sobald es steiler und gröber wurde. Für ein sogenanntes Offroad-ABS. das nur am Hinterrad deaktiviert ist und meiner Meinung nach sehr gut zum Einsatzzweck dieses Motorrads passen würde, benötigt man einen Dongle aus dem Zubehörkatalog.
Die Bremsen von Brembo, vorne ist eine 300-Millimeter-, hinten eine 240-Millimeter-Wave-Scheibe montiert, verzögern das Motorrad auch auf der Straße gut, aber keinesfalls zu giftig für den vorbestimmten Offroad-Einsatz – hier ist naturgemäß ein spürbarer Unterschied zur weit schärferen Bremserei an der 701 Supermoto zu bemerken, was freilich absolut im Sinn der Sache ist und perfekt zur 701 Enduro (LR) passt.
Richtig gut sind auch die Fahrwerks-Elemente, wenngleich ich mit einem weinenden Auge feststellen hatte müssen, dass die Federwege der Husqvarna im Modelljahr 2020 von vormals stolzen 275 Millimeter vorne und hinten nun auf jeweils 250 Millimeter gekappt wurden, womit die 701er dieses Unterscheidungsmerkmal zur KTM 690 Enduro R verloren hat. Wirklich spürbar ist dieser "Verlust" für den Normalverbraucher allerdings nicht, die 48-Millimeter WP-Xplor-Upside-Down-Gabel ist ebenso feinste Sportenduro-Ware wie das WP-Xplor-Federbein. Die schlucken richtig viel, alles natürlich voll einstell- bzw. perfekt auf den jeweiligen Einsatzzweck trimmbar. Auch auf die Sitzhöhe hat sich das Minus an Federweg nicht ausgewirkt, mit 925 Millimeter thront man immer noch enduromäßig hoch auf der Husqvarna, die ja auch eine üppige Bodenfreiheit von 270 Millimeter für den Geländeeinsatz zu bieten hat. Mit meinen 1,75 m Körpergröße komme ich nur mit den Zehenspitzen auf den Boden, was in Anbetracht des geringen Gewichts von 155 Kilo ohne Sprit (9 Kilo mehr als die normale 701 Enduro) aber kein echtes Problem darstellt. Das Sitzpolster ist zwar nicht das bequemste, aber doch gut genug, dass mir auch nach ausgedehnten Tagestouren der Hintern nicht weh tat. Und ausgedehnte Touren sind mit der LR ein Muss…
…denn gerade dafür wird man sie sich schließlich holen. Womit wir dort angelangt sind, was die Langstreckentaugliche von ihrer schlanken Schwester unterscheidet: Der vorne angebrachte 12-Liter-Zusatztank, der zusammen mit dem serienmäßigen, selbsttragenden 13-Liter-Hecktank das Spritvolumen auf stolze 25 Liter erhöht. Befüllt wird jeder für sich, mit einem Schalter am linken Lenker lässt sich jederzeit hin- und her switchen, so dass man die beiden auch relativ gleichmäßig leer fahren kann. Ich habe in der Praxis allerdings stets den vorderen zuerst leer gemacht, weniger aus Gründen des Schwerpunkts, sondern ganz pragmatisch deshalb, weil nur der hintere die Reserve-Lampe zum Leuchten bringt, wenns spritmäßig eng wird. Bei meinem Testverbrauch von 4,8 Liter auf 100 Kilometer lässt dies sogar eine Reichweite von über 500 Kilometer errechnen! Allerdings will ich nicht unerwähnt lassen, dass es mir bei drei Versuchen nicht gelungen ist, den vorderen Tank komplett leer zu fahren, wenn die Angabe des Fassungsvermögens korrekt angegeben ist: Mehr als 10,5 Liter gingen nicht rein, obwohl man schon auf den hinteren Tank umschalten hatte müssen. Ob noch ein bis eineinhalb Liter "unbenutzbar" (bzw. als eiserne Reserve, die man sich dann in der Wüste rauszuz'ln und in den hinteren Tank umfüllen kann…) in den Tiefen des Tanks schlummern, oder eben doch nur etwa 11 Liter reinpassen, habe ich nicht überprüft. Es ändert auch nichts daran, dass die Reichweite von +/- 500 Kilometer – die ja je nach Fahrweise variiert, aber definitiv über 450 Kilometer liegen sollte – für eine "echte" Enduro phänomenal ist. Sie macht die 701 LR bereit fürs große Abenteuer, für die Wüstentour oder die Reise in Länder, in denen das Tankstellennetz dünner als in unseren Breiten ist.
Trotzdem ist der Gedanke nicht ganz zu Ende gedacht bzw. das Konzept nicht bis zum Schluss konsequent durchgezogen. Denn wer zur LR greift und damit richtig lange Touren angehen will, der wird mit hoher Wahrscheinklichkeit auch einen vernünftigen Windschutz wollen, am besten gleich einen Rally-Tower, der harmonisch ins Gesamtgefüge passt und den Eindruck wegwischt, dass hier einfach auf die Schnelle ein Zusatztank montiert wurde. Wer diesbezüglich nach Lösungen sucht, ist auf Fremdhersteller wie Nomad aus Holland oder Rade Garage aus Tschechien angewiesen, mit der LR hat man aber auf alle Fälle schon einmal ein wunderbares Basisgerät, deren Tank typisiert ist (mehr darüber im Video).
Was mir ganz speziell positiv aufgefallen bzw. wichtig ist, war die Tatsache, dass sich das Spritfass nicht oder nur unwesentlich aufs ausgezeichnete Handling des Motorrads auswirkt. Womöglich wäre ein solcher minimal zu spüren, wenn man direkt von der normalen 701 Enduro ab- und auf die 701 Enduro LR aufsteigt, aber gestört hat mich beim Fahren nichts. Und solange man dabei nicht runter schaut, merkt man den Tank überhaupt nicht, der obendrein durch seine Bauweise auch einen zusätzlichen Wetterschutz für den Fahrer bietet – im Unterschied zum Mini-Windschild, mit dem Dauer-Geschwindigkeiten von über 120 km/h doch rasch relativ unangenehm werden.
Süchtig machend ist der serienmäßige Quickshifter, der die Gänge rauf und runter flutschen lässt, speziell auch Offroad eine gute Unterstützung für den Fahrer darstellt. Kurven können dem Motorrad gar nicht eng genug sein, Fahrspaß wird groß geschrieben, wer will und die Traktionskontrolle deaktiviert, hat die 701er jederzeit rasch am Hinterrad. Auch an der Ergonomie gibt es überhaupt nichts auszusetzen, ob aufrecht sitzend auf der langen, geraden Sitzbank, die zum aktiven Fahren einlädt oder stehend auf den soliden Rasten – da ist alles stimmig und dort, wo man es sich wünscht. Enduromäßig "spartanisch" fällt das Display aus, das lediglich Geschwindigkeit und zwei Tripzähler anzeigt – Drehzahlmesser oder Ganganzeige sucht man vergeblich.
Als Serienbereifung setzt man bei Husqvarna weiter auf den altbewährten Conti TKC80 Twinduro, ein Gummi, der schon Generationen von Motorrad-Reisenden begleitete und entsprechend gut zur LR passt: Ordentlich auf der Straße und gut auf unbefestigten Wegen. Lediglich wenn es nass wird, ist er am Asphalt mit der gebotenen Vorsicht zu bewegen, und im Matsch naturgemäß früher an seinen Grenzen als ein "richtiger" Enduro-Pneu – wer seine Husqvarna aber "in beiden Welten" bewegt, hat mit dieser Serienbereifung ein verlässliches Schuhwerk.
+ Dieser Motor ist einfach ein Genuss an Sportlichkeit, vor allem mit dem serienmäßigen Quickshifter
+ Die Handlichkeit hat unter dem großen Tank nicht wirklich gelitten
+ Die Reichweite ist mit +/- 500 km für eine "echte" Enduro phänomenal
– Fehlender Windschutz vor allem ein "Rally-Tower" würde perfekt passen
– Offroad-ABS (nur am Hinterrad deaktiviert) ist aufpreispflichtiges Extra
– Federwege wurden gegenüber dem 2019er-Modell gekürzt (sind aber nach wie vor natürlich sehr ordentlich)
Fazit:
Lange hat die Welt oder haben zumindest jene Motorradreisenden, die gerne abseits der befestigten Straßen unterwegs sind, auf eine leichte Einzylinder-Enduro mit richtig ordentlicher Reichweite ab Werk gewartet. Mit der 701 Enduro LR hat Husqvarna diesen nun ein Langstrecken-Gefährt auf die Speichenräder gestellt, das punkto Fahrspaß auf und abseits der Straße, Handling oder Ergonomie keine Vergleiche zu scheuen braucht und obendrein pro Tankfüllung um die 500 Kilometer weit fährt. Um 12.799 Euro (in Österreich) bzw. genau einen Tausender mehr als die "Normale" ist die "Long Range“ zu haben, wer schon eine 701 Enduro daheim stehen hat, kann sich einen Umbausatz um rund 2.000 Euro (neben dem Tank muss dann auch noch eine andere Sitzbank drauf) holen. Bestseller wird das Nischenmodell wohl keines, für echte Offroad-Reisende stellt sie aber ein wirklich interessantes Gefährt dar, das obendrein auch noch die Zubehör-Industrie leben lässt: Ich würde jedenfalls drauf wetten, dass in absehbarer Zeit mehr auf "Rally" umgebaute LRs herumfahren werden, als nackerte.
© 2020/07
Mein neuer Helm:
Seit März fahre ich mit dem Touratech Aventuro Pro Carbon Jetzt bereit zur Anprobe & Testfahrt bei www.touratech.at
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Reisen ist tödlich
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Mark Twain
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