Auch wenn sie ihrer Vorgängerin immer noch sehr ähnlich sieht: Nicht weniger als 90 Prozent an der neuen 1290 Super Adventure S sind tatsächlich neu, versichern die Ingenieure von KTM. Das konnte ich beim ersten Test auf Fuerteventura natürlich nicht überprüfen – was ich aber sehrwohl feststellen konnte: Wie sich das neue Reise-Flaggschiff aus Mattighofen fährt, wie die Fülle an Technik den Fahrer dabei auf Wunsch in der Praxis unterstützt. Denn davon hat die SAS wahrlich jede Menge an Bord…
Beginnen wir dennoch beim Motor, nach wie vor das Herzstück dieses sportlichen Langstrecken-Hobels für die unterschiedlichsten Pfade, der jetzt natürlich auf EURO 5 getrimmt und dementsprechend ebenfalls rundum überarbeitet wurde. Aus dem 1.301-Kubik-V2 kommen nach wie vor imposante 160 PS (bei 8.750 U/min), das mächtige Drehmoment von 138 Newtonmetern liegt bereits bei 6.500 Touren an. Das sind übrigens zwei Nm weniger als beim Vorgänger-Modell, was in der Praxis aber nicht zu spüren ist.
Denn dieses Kraftwerk von einem V2 befeuert den Reisehobel schon von unten heraus, dass es eine wahre Freude ist. Ab zwei-, zweieinhalbtausend Touren ruckelt oder vibriert da nichts, spielt vielmehr so richtig die Musik, sobald man am rechten Lenkerende dreht. Zwei separate Kühler (für jeden Zylinder einer) sorgen dafür, dass das Aggregat nicht überhitzt und sollen auch dazu beitragen, dass der Fahrer weniger Hitze abbekommt, als beim Vorgänger. Dies war beim wechselhaften Wetter auf Fuerteventura nicht zu überprüfen und wird man sich im Sommer noch einmal genauer ansehen müssen, auf unseren Testfahrten war jedenfalls keine unangenehm störende Hitze zu verspüren. Das Getriebe des LC8, der auch viel von den Neuerungen der Super Duke R übernommen hat, ist komplett neu, insgesamt gelang es den KTM-Ingenieuren, den Motor um 1,6 kg leichter zu machen.
Wie überhaupt Gewichts-Ersparnis ganz oben im Pflichtenheft gestanden ist. Hier ein paar Gramm weniger durch dünnere Verkleidungs-Teile, dort durch den neuen Alu-Heckrahmen, und, und, und… Dennoch bringt die SAS 2021 insgesamt fünf Kilo mehr auf die Waage, was in erster Linie eben den EURO5-Auflagen geschuldet ist, sowie dem einen oder anderen neuen Feature, die wie uns jetzt gleich näher ansehen werden. Mit 220 kg trocken bzw. 243 vollgetankt ist sie aber immer noch eine der leichtesten unter den leistungsmäßig "dicken" Reiseenduro-Dingern.
Verändert wurde auch die Fahrzeugs-Geometrie, was der Agilität und Wendigkeit zu Gute kam. So hat man den Lenkkopf um 15 Millimeter zurück versetzt, den neuen Rahmen etwas kürzer gestaltet und dafür eine längere Schwinge verbaut, um trotz des besseren Handlings jene Stabilität zu erreichen, die einem derart performanten Gerät zusteht bwz. auch nötig ist, wenn man es mit dem "Ready-to-Race"-Auftrag ernst nimmt. Die Ergonomie ist KTM-typisch gut, sowohl was den Kniewinkel betrifft, als auch vom (einstellbaren) Abstand zum Lenker. Mit 849 bzw. 869 mm wurde die Sitzhöhe etwas verringert, ich war mit meinen 1.75 Meter in der niedrigen Position unterwegs und fand diese angenehm. Die zweigeteilte Sitzbank ist bequem genug für lange Etappen und wird nach vorne hin schmäler, was dem sicheren Stand zu Gute kommt, ohne den Komfort zu beeinträchtigen. Sehr gut ist auch der Wind- und Wetterschutz. Für mich war die niedrigste Position des Windschildes perfekt, er lässt sich aber auch jederzeit während der Fahrt mit einer Hand an einem der beiden Drehräder in einem Bereich von 55 Millimeter verstellen. Warum nur hat man bei KTM nicht auch der 890 Adventure einen solchen Verstellmechanismus verpasst?
Beim dreigeteilten 23-Liter-Tank nahm man mit den seitlich jeweils weit nach unten gezogenen Spritfässern Anleihen von der 890 bzw 790 Adventure, wenngleich das Thema hier etwas zurückhaltender angegangen wurde. Der dadurch tiefere Schwerpunkt wirkt sich aber ebenfalls gut aufs Handling aus, dazu kommt einem das Motorrad während des Fahrens schlanker vor, als es ist. Selbst gemessen habe ich den Verbrauch an den beiden Fahrtagen nicht (das folgt dann beim Langzeittest im Herbst), der Bordcomputer schätzte ihn aber auf 6,4 Liter pro 100 Kilometer ein, was in Anbetracht der üppigen Leistung ein sehr guter Wert ist.
Stichwort Bordcomputer. Das in der Neigung verstellbare 7-Zoll-TFT-Farbdisplay zeigt alle relevanten Infos gestochen scharf bzw. gut ablesbar an und unterstützt die meisten Anzeigen zusätzlich mit Bildern, die einem gut visualisieren, welche Einstellung gerade vorgenommen wird, ohne dabei in meinen Augen kitschig zu wirken. Neu ist auch die Schalter-Einheit an den Lenkern, mit denen die reichhaltige Elektronik gesteuert wird und man sich durchs Menü am Display bewegt. Diesbezüglich lag die Latte hoch, fand ich die Menü-Führung bei KTM immer schon beispielhaft intuitiv und war daher froh, dass sich daran trotz neuer, von der Haptik wertiger wirkender Optik kaum etwas geändert hat, obwohl es mittlerweile doch um einiges mehr einzustellen gibt. Am rechten Lenker sind auch zwei Favoriten-Tasten, die man individuell belegen kann, ich hatte mir beim Test die Fahrmodi-Auswahl bzw. den Tempomant drauf gelegt. Mit der KTM My Ride App lässt sich das Display in gewohnter Manier mit dem Mobiltelefon verbinden und auch z.B. für (Pfeil)-Navigation nutzen.
An Elektronik ist so ziemlich alles an Bord, was heutzutage machbar bzw. State of the Art ist. Etwa die serienmäßige, von Bosch entwickelte adaptive Geschwindigkeitsregelanlage, bei KTM ACC (Adaptiv Cruise Control) genannt. Ich muss zugeben, dass ich nie ein großer Freund von Tempomaten an einem Motorrad gewesen bin, auch wenn sie mittlerweile bei Reiseenduros für viele dazu gehören mögen. Weil man in der Praxis doch immer wieder an den Geschwindigkeits-Reglern rauf und runter "drehen" muss, weil es der Verkehr verlangt. Das ist dank der zwischen dem weiter KTM-typischen LED-Scheinwerfergesicht platzierten Radar-Einheit nun Vergangenheit. Diese misst den Abstand zum vor einem fahrenden Fahrzeug (ganz egal, ob Ein- oder Mehrspurig) und passt die Geschwindigkeit an. Wobei sich der Abstand in fünf Stufen einstellen lässt. Sobald man die Fahrbahn wechselt, erhöht sich die Geschwindigkeit wieder auf den eingestellten Wert und man prescht nach vorne. Je nachdem, ob man das ACC auf Sport oder Komfort gestellt hat, erfolgen Brems- bzw. Beschleunigungsvorgänge abrubt oder harmonisch. All das funktioniert in der Praxis verblüffend gut und ausgereift, selbst auf der Landstraße haben wir das ACC immer wieder mal ausprobiert. Auf der Autobahn ist mit diesem radar-gesteuerten Tempomat, den ja auch Ducati in der neuen Multistrada V4 anbietet, freilich durchaus denkbar, dass man etwa in Wien auffährt, das Tempo auf 130 km/h stellt und bis Salzburg die rechte Hand nicht mehr am Lenker haben muss: Das Motorrad verlangsamt, sobald ein Fahrzeug in der Spur vor einem fährt und überholt, sobald man die Spur wechselt. Genial. Wobei man bei KTM ausdrücklich betont, dass es sich um ein Komfort- und kein Sicherheitsfeature handelt, man immer noch selbst für sein Tun auf der Straße verantwortlich ist…
Aber der Fahrer im Zentrum ist sowieso das Credo der SAS, auch wenn die Elektronik, die ihm zur Verfügung steht, schon wirklich enorm ist. Auch das semiaktive Fahrwerk wurde überarbeitet und passt sich je nach Fahrstil und auch Fahr-Modus in Millisekunden an die Gegebenheiten an, die Vorspannung kann in 10 Stufen eingestellt werden. Mit dem Zusatzpaket "Suspension Pro" können Gabel und Federbein individuell justiert sowie die Vorspannung automatisch auf einen gewählten Wert eingestellt werden, unabhänig von der Beladung. Interessant dabei auch der abschaltbare Anti-Dive-Mode, der ein starkes Einsinken der Gabel beim Anbremsen verhindert und ähnlich dem Telelever bei einer BMW GS der sportlichen Gangart auf Asphalt zuträglich ist. Geschmacksache, der Unterschied ist jedenfalls gut spürbar und erhöht die Vielseitigkeit dieser ausgereift wirkenden Reisemaschine.
Denn mit 200 Millimeter Federweg vorne wie hinten sowie einem 19-Zoll-Vorderrad ist die 1290 Super Adventure S auch für Abenteuer auf rumpeligen Straßen und abseits befestigter Wege bereit, auch wenn man diesbezüglich von KTM noch ein offroad-affineres Modell erwarten darf. Die Ergonomie beim Stehendfahren ist gewohnt gut, auf unserer 8-Kilometer-Offroad-Runde am Strand entlang schränkte nicht das Motorrad, sondern nur die Bereifung ein. Serienmäßig ist auf der SAS der Mitas Terra-Force R aufgezogen. Ein 90/10-Reifen, der am tollen Asphalt auf Fuerteventura sehr guten Grip bietet und auch im Regen wunderbar gehalten hat (wie das auf unserem, nicht so guten Asphalt ist, gilt es noch herauszufinden), Schotter auch noch ganz gut kann, solange es trocken ist, sich im Schlamm aber extrem zugefahren hat und dort rasch an seine Grenzen gelangt. Insgesamt aber keine schlechte Wahl, wenn man dort bleibt, wo mit diesem Motorrad dann wohl doch die meisten bleiben, nämlich auf der Straße.
Die Fahrmodi Street, Sport, Rain und Offroad kennt man und arbeiten in der SAS im jeweiligen Zusammenspiel von Gasannahme, Intensität der schräglagenabhängigen Traktionskontrolle sowie des Kurven-ABS gewohnt gut. Im Regen-Modus ist die Leistung auf rund 100 PS reduziert und die Traktionskontrolle naturgemäß am sensibelsten, ich war bei unseren teilweise recht flotten Regenfahrten meist im Street-Modus unterwegs, wo die Traktionskontrolle etwas früher eingreift als im Sport-Modus, jedoch keineswegs störbar. Meist sieht man ihren Arbeitsnachweis nur am TFT-Display, ohne dass man den Eingriff spürt. Mit dem optionalen Rally-Mode, der auch die MTC-Schlupfanpassung beinhaltet, lässt sich die Traktionskontrolle stufenlos während der Fahrt verstellen und auch die anderen Parameter individuell anpassen. KTM offeriert dazu auch noch ein Tech-Pack, in dem Suspension Pro, Rally-Mode, Quickshifter, Berganfahrhilfe (!) und das aus der Super Duke R bekannte adaptive Bremslicht, das bei forschem Bremsen aufblinkt, inkludiert sind. Die Aussage eines Motor-Entwicklers beim Abendessen, dass der Quickshifter der beste ist, den KTM je gebaut hat, kann ich zwar so nicht bestätigen, weil er schon in den 790er- und 890er-Modellen wunderbar funktioniert, aber auf alle Fälle ist er auch auf diesem hohen Niveau. Das sich vor allem harmonischen beim Runterschalten von anderen Fabrikaten unterscheidet, Hochschalten können viele gut. Aber auch in Verbindung mit der leichtgängigen Kupplung gehen die Gangwechsel einfach und sanft von der Hand. Kupplungs- und Bremshebel sind im übrigen einstellbar, die Bremse (vorne zwei 320er-, hinten eine 267-Millimeter-Schiebe) lassen auch kaum Wünsche offen.
Neben dem Motorrad ist auch der Tankdeckel schlüssellos zu öffnen, wobei das Funksignal des Keyless-Go-"Schlüssel" unterbrochen werden kann, damit sich raffinierte Langfinger nicht den Code schnappen können. Praktisch sind auch die 12-Volt-Steckdose und das kleine Ablagefach am Tank, in dem sich ein Handy laden lässt oder Dinge wie Geld, Mauttickets etc. verstauen lassen, damit man sie jederzeit griffbereit hat.
+ Der kraftvolle Motor ist bei allen elektronischen Highlights immer noch das Prunktstück dieses Motorrads
+ Die Handlichkeit ist für eine große Reiseenduro beispielhaft
+ Die umfangreiche Elektronik lässt auch für Freaks kein Wünsche offen
– Der tolle Quickshifter ist ein leider ein aufpreispflichtiges Extra
– Der Rally-Mode (mit der Möglichkeit, die Traktionskontrolle individuell anzupassen) ist ebenfalls nicht Serie
– Die 12-Volt-Steckdose ist unter dem TFT-Display etwas schwer zugänglich
Fazit:
Mit der 1290 Super Adventure S hat KTM wieder einmal eine richtig gute Reiseenduro auf die Räder gestellt, deren natürlicher "Lebensraum" in erster Linie die Straße sein wird, mit der man aber auch keine Scheu vor Ausflügen auf unbefestigte Wege haben muss. Extrem sportlich und überraschend handlich stellt sie zumindest für mich auch ein wenig die wunderbare Super Duke GT, mit der ich erst im Oktober längere Zeit unterwegs gewesen bin, in den Schatten. Obwohl mit 15 PS weniger ausgestattet und im "Ernstfall" daher von den Fahrleistungen einen Tick dahinter, ist man mit der SAS für eine breitere Auswahl an Strecken bereit und hat auch von den Gepäck-Möglichkeiten mehr Optionen. Dazu kommt ein High-Tech-Elektronikpaket, dass auch für Freaks kaum Wünsche offen lassen wird, in fast allen Fällen aber auch weggeschalten werden kann. Persönlich hätte ich zwar den Kunden, der ja bei KTM meist doch eher auf der sportlichen Seite ist, zwischen einer Komfort-Variante mit dem adaptiven Tempomat und einer Sportvariante mit dem Quickshifter wählen lassen, aber letztlich wird man es sowieso nie jedem recht machen können und wenn das alles ist, was ich zu kritisieren finde, dann hat KTM nicht allzuviel falsch gemacht.
Ich freue mich jedenfalls nach diesem Test umso mehr, dass ich mir schon für meine September-Reise eine gesichert habe. Dann wird es hier auch einen ausführlichen Sozia- bzw. Reisecheck von Mel und meiner Seite geben…
© 02/2021
Mein neuer Helm:
Seit März fahre ich mit dem Touratech Aventuro Pro Carbon Jetzt bereit zur Anprobe & Testfahrt bei www.touratech.at
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Reisen ist tödlich
für Vorurteile.
Mark Twain
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