Montesa 4Ride • Modelljahr 2016

Noch leichter geht sehr schwer

"Schatz, was hältst du davon, ein paar Tage mit dem Auto nach Istrien zu fahren?" "Mit dem Auto", fragte Sozia misstrauisch besorgt nach, "hast du Fieber?" Nein, ich hatte die Montesa 4Ride für zwei Wochen zum Test und mir extra einen Anhänger besorgt, der hinten ans erwähnte Auto drankam. Denn mit der kleinen Wandertrial der spanischen Honda-Tochter wäre selbst mir die Anreise auf eigener Achse zu mühsam gewesen. Und Anfang Oktober testet es sich in südlicheren Gefilden einfach angenehmer als daheim.

Das Konzept einer Trialmaschine mit Sitzbank und größerem Tank ist nicht neu, da gab es früher mehrere derartige Hybrid-Modelle, auch Montesa selbst hatte mit der Evasion etwa bis Anfang der 1990er-Jahre eine im Programm – die Wiedergeburt auf letztem technischen Stand ist eine echte Bereicherung des Marktes an leichten, geländegängigen Motorrädern. Wobei leicht in diesem Fall schwer untertrieben ist: Mit 81 kg trocken bzw. 85 vollgetankt ist die schlanke Spanierin ein Fliegengewicht, und genauso fährt sie sich auch. Steil bekommt im Sattel oder auf den Fußrasten der 4Ride jedenfalls eine neue, fast schon gleichgültige Bedeutung, über Passagen vor denen du mit einer "normalen" Enduro erst einmal kurz anhältst und zu Grübeln beginnst, fährst du einfach drüber. Geht nicht, gibt's nicht!

Wobei es doch nicht gleich Liebe auf den ersten Blick gewesen ist, es schon einer gewissen Eingewöhnungszeit bedarf, wenn man nicht aus dem Trial-Lager kommt. Das beginnt schon vor dem allerersten Aufsteigen, mit dem Seitenständer an der "falschen" Seite. Warum Trialmaschinen diesen rechts montiert haben, konnte mir jedenfalls noch niemand schlüssig erklären. Letztlich ist es aber egal und erinnerte mich an die Idee meines alten Freundes Max, der ja der Ansicht ist, dass Motorräder auf beiden Seiten einen haben sollten, damit man sie bei jeder Fahrbahnbeschaffenheit sicher abstellen und ebenso aufsteigen kann. Hat was für sich, wäre aber gerade für die 4Ride definitiv kein Thema.

Denn oberstes Gebot war bei den Montesa-Leuten ganz offensichtlich, das Gewicht so niedrig wie möglich zu halten. Das gipfelt darin, dass man sogar auf einen Elektrostarter verzichtet, weil auch die Batterie auf die Waage drücken würde. Wer weiß, wie wenig so ein moderner Lithium Ionen Akku wiegt, der würde diesen Kompromiss wohl akzeptieren – die einzige Möglichkeit, die 4Ride in Betrieb zu nehmen, ist nämlich ihr Kickstarter. Auch wenn dieser sehr gut funktioniert und der Murl meist auf den ersten Tritt kommt, so denke ich doch, dass der Verzicht aufs bequeme Knöpferl den einen oder anderen potentiellen Interessenten vom Kauf abhalten könnte. Zumal man sein Haxerl ganz schön hoch anheben muss, um den Hebel zu betätigen, ohne Rücksicht auf schweißtreibende Passagen, die man womöglich schon hinter sich hat  – auch ich ertappte mich jedenfalls dabei, unterwegs bei Fotostopps den Motor öfter laufen zu lassen als sonst, nur um das Werkl danach nicht gleich wieder in Gang setzen zu müssen…

Aber das war auch schon der einzige wirkliche Kritikpunkt meinerseits. Denn die 4Ride, deren technische Basis die Wettbewerbs-Trialmaschine Cota 4RT 260 mit einem Hubraum von 259 ccm liefert und deren 1,9-Liter-Tank eben auf 4,4 Liter vergrößert wurde, um auch entsprechende Distanzen zurücklegen zu könnten, ist durch und durch ein echter Spaßmacher! Also zurück zum bereits erwähnten Eingewöhnungs-Prozedere: Die Sitzbank ist bequemer als sie aussehen mag bzw. die meisten Brettln, die auf Sportenduros auf diese Bezeichnung pochen, auch die Sitzhöhe von 880 mm ist wegen ihrer schmalen Bauweise kein Thema. Anders die Position des Schalthebels, der trial-typisch höher positioniert ist, weshalb man zum Schalten den Fuß von der Raste anheben muss. Dies ist gewollt und darin begründet, um in Trial-Passagen im Stehendfahren nicht irrtümlich den Gang zu wechseln. Man kann die Montesa allerdings auch mit einem konventionell positionierten Schalthebel ordern, was ich nach den zwei Wochen unterhaltsamer Gemeinsamkeit aber wohl gar nicht mehr getan hätte. Auch die Schaltpunkte bzw. die ungewohnt kurze Übersetzung der Gänge ist im Einsatzzweck bzw. den nicht wegzuleugnenden Trial-Wurzeln begründet: Ab etwa Tempo 45 ist man im fünften oder höchsten Gang, zum Anfahren an der Ampel reicht Runterschalten in den dritten, die Gänge eins und zwei werden lediglich für knifflige Geländepassagen benötigt, wo das Vorderrad quasi im Handumdrehen hoch geht.

Genau diese Abschnitte – ob extrem steile Auf- und Abfahrten, Stufen im Fels oder (wie auf obenstehenden Fotos) im Hotelgelände – sind es, in denen die Montesa ihre Stärken gegenüber Enduros ausspielt und die einem mit der 4Ride einfach leichter von der Hand gehen.

Die kleine Braktec-Bremsscheibe verzögert überraschend gut bzw. genau richtig fürs Gelände oder Schotterpisten – nur bei wirklich sportlicher Gangart auf der Straße ist sie dann doch überfordert. Auch das geht mit der 4Ride, wer will kann das knapp 90 km/h schnelle Motorrad durchaus in Supermoto-Manier durch verwinkelte Pass- oder Landstraßen treiben, je enger dabei die Kurvenradien desto breiter der Grinsen unterm Helm. So gesehen wäre das Fliegengewicht durchaus auch als City-Flitzer einzusetzen bzw. richtiggehend alltagstauglich, am wohlsten fühlt man sich aber naturgemäß dort, wo einem mit schwerem Gerät irgendwann unwohl wird. Wer also lieber im Rally-Tempo über Pisten heizt, wird mit einer Sportenduro bestimmt glücklicher sein, obwohl man auch mit der Montesa flott bzw. eben mit Höchstgeschwindigkeit auf Schotter unterwegs sein kann. Allerdings ist hier ein noch vorausschauender Blick als sonst ratsam, denn der gegenüber Enduros doch geringere Federweg von 199 mm vorne und 170 mm hinten bügelt Schlaglöcher nicht ganz so gut weg, im Geländeeinsatz verrichten die Hinterradaufhängung und die zart wirkende, sensibel ansprechende Gabel aber einen hervorragenden Dienst.

Auch über die serienmäßig aufgezogenen Gummis gibt es wenig zu meckern, der D803GP von Dunlop ist ein Trialreifen mit richtig guter Traktion im Gelände oder Schotter. Nur im Gatsch ist naturgemäß rasch Schluss mit lustig, wird die Fahrt zur schwer kontrollierbaren Rutschpartie. An der Hinterradfelge sind die Speichen übrigens über einem Mittelsteg befestigt. Diese innovative Bauart erlaubt die Verwendung schlauchloser Bereifung, was ebenfalls zur Gewichtsreduzierung beiträgt.

Die von Montesa angegebene Reichweite von 120 Kilometern ist bei gemütlicher Fahrweise sicher realistisch, bei mir genehmigte sich die Spanierin im Schnitt ziemlich exakt vier Liter auf 100 Kilometer, weshalb der makellos sauber verarbeitete Aluminium-Tank einmal schon etwa 110 km nach dem Tanken leer gefahren war und ich irgendwo in Istrien liegen geblieben bin. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis ein netter Kroate stehenblieb und Benzin holte. An sich solle die Reichweite ja zum Trial- oder auch Endurowandern meist ausreichen, wer auf Nummer sicher gehen will, wird sich aber eventuell einen Ersatzkanister in den Rucksack packen, da man nicht immer so einen flotten Helfer zur Hand haben wird.

Die Verarbeitung der Montesa 4Ride wirkt Honda-typisch wertig und solid, ein 5mm dicker Motorschutz aus Leichtmetall schützt das Triebwerk vor ungewolltem Bodenkontakt, ein Schräglagensensor schaltet die Zündung automatisch ab, wenn das Motorrad im Fall des Falles länger als sieben Sekunden mit einem Winkel von über 65 Grad auf der Seite liegt – ein nicht zu unterschätzender Sicherheitsaspekt für Fahrer und Maschine.

Fazit:

Der dezente Schriftzug "Offroad Adventure" am hinteren Kotflügel zeigt an, wo die Reise mit der Montesa hingeht. Auch wenn sie durchaus das Potential zum Alltagsbike im Großstadtdschungel hat, fühlt sich das Fliegengewicht beim Wandern abseits befestigter Wege am Wohlsten, besticht dort durch einfachstes Handling bei überraschend viel Komfort. Noch leichter geht sehr schwer – man muss sich das einmal vorstellen: Die 4Ride bringt 20 Kilo (!) weniger auf die Wage als eine ohnehin schon extrem leichte Freeride 350 von KTM, die dafür freilich etwas mehr Allround-Talente in die Waagschale werfen kann. Wenn Tempo im Anforderungsprofil des Fahrers aber nicht an oberster Stelle steht, ist die rot-weiße Honda-Tochter für jeden eine Überlegung wert, der ein leichtes Motorrad zum Enduro- bzw. Trialwandern sucht und der mit einem Kickstarter leben kann. Er bekommt damit zum Preis von (in Österreich) € 7.290,00 ein heißes Eisen, mit dem er auch vor auf den ersten Blick unüberwindbaren Hindernissen nicht halt zu machen braucht und mit dem Fahrspaß definitiv groß geschrieben wird.

© 10/2016