Man muss schon zweimal hinschauen, um die Suzuki-V-Strom 1000 von ihrer kleineren Schwester, der V-Strom 650, zu unterscheiden. Nicht einmal ein dezenter Schriftzug hilft dem neugierigen Passanten festzustellen, vor welchem Modell er nun gerade steht. Dass beim schwarz-gelben 2017er Outfit bei der Großen auch die Sitzbank gelb ist, kann neben dem größeren Endschalldämpfer als Unterscheidungsmerkmal herhalten, wird man als Unbedarfter aber schwer wissen. Also muss das Motorrad schon angestartet bzw. gefahren werden. Denn unter dem 20-Liter-Spritfass verrichtet in der V-Strom 1000 ein Zweizylinder mit 1.037 ccm Hubraum, 101 PS und ebensovielen Newtonmetern seinen Dienst. Das klingt nicht nur kräftiger, sondern ist es auch.
Trotzdem wird sich in diesem Testbericht der großen V-Strom, mit der ich im Juli 2017 an vier Tagen rund 1000 Kilometer unterwegs gewesen bin, einiges von jenem der V-Strom 650 wiederholen bzw. ähneln. Denn die beiden Motorräder sehen einander nicht nur wie erwähnt zum Verwechseln ähnlich, sondern sind es auch vom Konzept, in vielen Details und letztendlich auch in ihren Fahreigenschaften, sofern das eben bei zwei unterschiedlichen Leistungskategorien möglich ist. Doch zurück zum Motor: Ein kurzer Druck auf den Startknopf und er springt augenblicklich an – nicht aufdringlich bollernd aber doch dem Fahrer vermittelnd, dass er da ist, wenn man ihn braucht. Mit seinem stolzen Drehmoment tut er das durchzugsstark in jeder Lebenslage, bietet stets Reserven etwa zum Überholen, auch schaltarm gefahren ruckelt fast nix – wenngleich die Musik erst jenseits der 6000 Touren so richtig zu spielen beginnt. Ähnlich agil wie die kleine Schwester lässt sie sich auf Pass-Straßen hochzirkeln, Kurven bedeuten Spaß und nicht Stress. Die zweistufige Traktionskontrolle, die auch während der Fahrt (bei geschlossenem Gashahn) verstellt bzw. bei (Nicht)-Bedarf ganz weggeschalten werden kann, greift in meinen Augen etwas dezenter als in der 650er ein, trotzdem würde ich die früher regulierende Stufe zwei lediglich auf nasser Fahrbahn empfehlen. Ob man dann auf Feld- und Schotterwegen die relativ dezente Stufe eins belässt, die deutlich mehr Schlupf am Hinterrad erlaubt als die Zweier, oder die Traktionskontrolle überhaupt deaktiviert, ist Geschmacksache – störend wird sie erst, wenn es steil und grobschottrig wird.
Das Multifunktionsdisplay mit allen relevanten Informationen im Cockpit (selbstredend zu bedienen, ohne die Hände vom Lenker zu nehmen) ist übersichtlich und ident mit jenem der V-Strom 650, einzig die 12-Volt-Steckdose ist bei der 1000er direkt darunter positioniert, womit ein Ladekabel direkter bzw. schnörkelloser zum Tankrucksack geführt werden kann. Das Licht ist gut bzw. auch für Nachtfahrten ausreichend stark, die Sitzbank bequem, selbst wirklich lange Etappen sind darauf kein Problem. Zumindest mit meiner überschaubaren Körpergröße von 176cm fühlt man sich sowohl beim Sitzen, als auch im Stehendfahren auf Anhieb wohl – wer letzteres regelmäßig tut, wird aber über kurz oder lang die relativ schmal geratenen Rasten durch breitere mit mehr Aufstandsfläche ersetzen.
Nichts zu Meckern gibt es über die Bremsen, zumindest solange man mit dem Motorrad auf Asphalt bleibt. Die packen richtig kräftig zu, außerdem aktiviert die "Kombibremse" automatisch auch gleich jene am Hinterrad, sobald der Bremsdruck am Vorderrad einen bestimmten Wert überschreitet, um die Stabilität zu erhöhen. Als Kritikpunkt bleibt freilich, dass das ABS weder ganz wegschaltbar ist, noch als sogenanntes "Offroad-ABS" am Hinterrad deaktivierbar – was auf steileren oder flotteren Schotterpassagen mitunter doch zu Problemen führen kann. In dieser Fahrzeugklasse eigentlich schon fast ein '"Standard-Feature". Dafür handelt es sich im 2017er-Modell der großen V-Strom erstmals um ein Kurven-ABS, was der Sicherheit auf der Straße noch einmal zusätzlich entgegenkommt. Dort arbeiten die Verzögerer auch nahezu perfekt. Auf losem Untergrund gehen sie für meinen Geschmack aber etwas zu bissig zu Werke, was eine sensible rechte Hand erfordert, um nicht unvermittelt im Gemüse zu landen.
Stichwort Gemüse bzw. Offroad: Löblich, dass die 1000er im Gegensatz zur Kleinen serienmäßig mit soliden Handprotektoren daher kommt, der spendierte "Motorschutz" hat diesen Namen allerdings nicht verdient – der filigrane "Plastik-Bugspoiler" würde wohl schon beim allerersten ernsthaften Bodenkontakt w.o. geben. Für eine Reiseenduro setze ich eigentlich Stabileres voraus. Brems- und Kupplungshebel lassen sich nach den persönlichen Bedürfnissen einstellen, sehr löblich finde ich die Tatsache, dass die Federelemente (jeweils 160mm Federweg) individuell anpassbar sind: Neben dem Federbein, das sich in Druckstufe und Federvorspannung einstellen lässt, ist auch die 43-Millimeter-USD-Gabel in Federvorspannung, Zug- und Druckstufe einstellbar. Überhaupt "schluckt" das Fahrwerk etwas mehr als jenes der kleinen Schwester, auch wenn es mal etwas flotter über Rumpelpisten geht. Die serienmäßige Besohlung mit dem guten, alten Bridgestone Battlewing 501 bzw. 502, mit denen schon mein Tiger 2011 ab Werk ausgestattet wurde, ist keine schlechte Wahl: Ein Reifen, der nichts am besten, aber alles recht ordentlich kann und dem breit gefächerten Einsatzgebiet des Motorrads durchaus gerecht wird.
"Die große Suzuki ist ein Motorrad, auf dem ich mich vom ersten Draufsetzen an wohl fühlte. Die Sitzbank ist bequem, ebenso die Sitzposition bzw. der Kniewinkel, auch auf langen Fahrten hat sich daran nichts geändert. Und das relativ komfortable Fahrwerk nimmt auch Offroadpassagen, die naturgemäß für den Beifahrer oft weniger spaßig sind, ihren Schrecken. Ich kann die V-Strom 1000 eigentlich uneingeschränkt für die Reise zu zweit empfehlen.“
* Legende
Trotzdem sie jederzeit für Ausflüge auf nicht staubfreie Wege gerüstet ist, sehe ich die Stärken der V-Strom 1000 in erster Linie auf der Straße, wo sie sich als unkompliziertes Reisemotorrad aufs Wesentliche beschränkt: Fahrspaß auch ohne die unterschiedlichsten Fahrmodi und trotzdem dank Kurven-ABS und Traktionskontrolle am Stand der Zeit. Das ist übrigens auch der Verbrauch, der bei mir im Test auf 5,4 Liter/100 Kilometer kam, bei moderater Fahrweise erscheinen aber auch die von Suzuki angegebenen 5 Liter und damit eine Reichweite von rund 400 Kilometer nicht allzu utopisch. Der Windschutz ist gut, das Windschild nicht nur wie bei der V-Strom 650 mittels Inbusschlüssel dreifach in der Höhe verstellbar, sondern auch ganz ohne Werkzeug in der Neigung. Der "Low RPM Assistant" erhöht die Drehzahl beim Starten sowie bei geringen Geschwindigkeiten, was vor allem Einsteigern entgegenkommen wird und das plötzliche Absterben des Motors unwahrscheinlicher macht. Ganzjahresfahrer werden zudem den Frostwarner schätzen, der bei tiefen Temperaturen im Cockpit die Gefahr von Straßenglätte anzeigt – ein weiteres Feature, das sich die große mit der kleinen V-Strom teilt.
+ Durchzugstarker Motor liefert in jeder Lebenslage ausreichend Kraft und besticht durch Laufkultur
+ Gut funktionierende Kombi-Bremsen mit Schräglagen-ABS
+ Federung auch vorne einstellbar
– ABS nicht abschaltbar und auch nicht am Hinterrad zu deaktivieren
– Motorschutz bzw. Bugspoiler ist mehr Zierde als wirklicher Schutz
– Bremsen für den Offroad-Einsatz etwas zu bissig
Fazit:
Ganz ähnlich wie die kleine Schwester im Bereich von 600 bis 800 Kubik punktet die V-Strom 1000 eben in der oberen Reiseenduro-Mittelklasse durch unspektakuläre Reife, bietet viel Motorrad fürs Geld. Wobei sie sich mit einem Einstiegspreis von in Österreich € 14.390,00 durchaus auch dem Vergleich mit der nur unwesentlich teureren Honda Africa Twin oder der 1090 Adventure von KTM stellen muss, die beide doch mit einem Mehr an Offroad-Tauglichkeit punkten, die KTM obendrein noch mit einem Plus von 24 PS. Wenn dies im Pflichtenheft nicht ganz oben steht, bekommen kühle Rechner einen Begleiter fürs tägliche Motorradleben genauso wie für die Reise, der auch zu zweit Spaß macht und von einem Motor angetrieben wird, der mit seinem tollen Drehmoment schon in niedrigen Drehzahlbereichen viele andere Aggregate alt aussehen lässt. Welches nun die "bessere" V-Strom ist, lässt sich schwer beantworten. Als Liebhaber leichter Motorräder würde ich persönlich fast zur handlicheren kleinen greifen, wenngleich der Gewichtsunterschied von 15 Kilogramm (228 gegenüber 213) vom erwähnten Motor durchaus wettgemacht wird.
© 07/2017
Mein neuer Helm:
Seit März fahre ich mit dem Touratech Aventuro Pro Carbon Jetzt bereit zur Anprobe & Testfahrt bei www.touratech.at
bzw. im Shop in Baden!
Kontakt:
Reisen ist tödlich
für Vorurteile.
Mark Twain
Unter Motorradfahrern gibt es keine Fremden - nur Freunde, die man noch nicht getroffen hat.
Du findest Bike on Tour auch
auf YouTube, Instagram und Facebook (aufs Symbol klicken):