Suzuki V-Strom 1050 XT • Modelljahr 2020

Ehre, wem Ehre gebührt – oder: Schnabel halten und Motor sprechen lassen

Es ist schon krass irgendwie. Als ich die ersten Kommentare zu meinem Testbericht der neuen Suzuki V-Strom 1050 XT für 1000PS auf Facebook sah, war da von „BMW-Kopie“ zu lesen, oder „schaut aus wie eine GS“. Letzteres mag sogar bis zu einem gewissen Grad stimmen und kopiert zu werden ist ja auch eine Art Auszeichnung, diese Ehre gebührt im konkreten Fall jedoch den Japanern. Denn nicht in Bayern wurde der „Entenschnabel“ erfunden, sondern von Suzuki, wo dieses mittlerweile bei Reiseenduros weit verbreitete Stilelement in den späten 1980ern erstmals in der DR Big bzw. dem Dakar-Modell DR-Z aufgetaucht war.

Und eben genau der Linienführung dieser beiden Modelle bediente man sich im Land der aufgehenden Sonne nun auch beim jüngsten „Sport-Adventure-Tourer“, inklusive der klassischen Lackierungen in Orange-Weiß (so die offizielle Bezeichnung, ich würde es ja eher als Rot-Weiß sehen) bzw. Gelb. Was kein Zufall ist, war doch mit Ichiro Myata derselbe Design-Chef verantwortlicih, wie einst für die DR Big…

Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten, ich dachte mir jedoch schon Anfang November auf der EICMA in Mailand, dass dies die schönste V-Strom bisher ist.

Doch nicht allein das ließ die Vorfreude groß sein, als mir die Einladung zum Worldwide Press Launch auf den Tisch flatterte. Da war doch auch noch dieser Motor im Vorgängermodell, der mit seinem Punch aus unteren und mittleren Drehzahlbereichen so begeistern konnte. Dies in Verbindung mit modernster elektronischer Features unter Beibehaltung typischer V-Strom-Tugenden wie Zuverlässigkeit und Alltagstauglichkeit – das wär’s doch, um spannend in die Testsaison 2020 zu starten. Umso mehr, als das Studium des Datenblattes doch eine spannende Frage aufwarf: Wie wird sich das im Vergleich zur DL 1000 doch erst später anliegende maximale Drehmoment auf den Charakter des überarbeiteten und auf die neue Euro-5-Norm getrimmten 90° V-Twin auswirken? Auch in der DL 1050 hat er unverändert 1.037 ccm, leistet aber jetzt 107 statt bisher 101 PS, das minimal von 101 auf 100 Nm reduzierte Drehmoment liegt allerdings erst bei 6.000 (vorher 4.000) u/min an.

Die Antwort trieb mir ein breites Grinsen unter den Helm: Der Motor ist nach wie vor ein kräftiges, wenn nicht sogar das kräftigste Argument für die Suzuki V-Strom, hat unten zumindest subjektiv nichts von seinem Bums verloren und reißt oben raus noch einmal ein Stück mehr an. Im Hinterland von Marbella mit seinem Kurven ohne Ende war man jedenfalls geneigt, das Ding so richtig hochzudrehen, ging’s nur selten über den dritten Gang hinaus. Dabei kann dieser durchzugsstarke Motor auch Cruisen, was ihn eben wirklich zu einem Motorrad für alle Tage genauso wie für die Reise macht. Mit dem Wissen im Hinterkopf, ihm jederzeit auch die Sporen geben zu können.

Erstmals Einzug erhalten in eine V-Strom hat der elektronische Gasgriff Ride by Wire, wodurch nun neben einem Tempomaten auch verschiedene Fahrmodi mit an Bord sind. Diese unterscheiden sich in der Intensität der Gasannahme: Im Fahrmodus A, der auch als Sport-Modus durchgehen könnte, ist diese am direktesten, B würde ich als etwas weniger "aggressiv" bezeichnen und fürs entspannte Touren oder auch Stadtverkehr empfehlen, C geht am sanftesten zu Werke und eignet sich für Regenfahrten oder nasskalte Straßen.

Ich war auf unserer flotten Runde durch kurvenreich(st)e Straßen die meiste Zeit im Modus A unterwegs, weil der den Charakter dieses leiwanden Motors einfach am direktesten vermittelt. Meiste Zeit mit kratzenden Rasten als Begleitmusik, setzen diese bzw. deren recht lange "Angstnippel" in der Kurve doch einen Tick früher auf als bei vielen anderen Reiseenduros.

Die Traktionskrontrolle, die jedoch nicht an die neue IMU gekoppelt ist und somit nicht schräglagenabhängig arbeitet, lässt sich unabhängig von dem jeweils gewählten Fahrmodus in drei Stufen (von dezent eingreifend für die sportliche Gangart bis zur maximalen Kontrolle bei Nässe und Kälte) einstellen, für die Fahrt auf unbefestigen Wegen auch ganz wegschalten. Was man beim Kurven-ABS leider wieder versäumt hat. Zwar wurde es dank der IMU weiter verbessert und ist jetzt in zwei Stufen voreinstellbar (1 regelt dezent, bei 2 greift es früher ein), abschalten bzw. als "Offroad-ABS" nur am Hinterrad deaktivieren lässt es sich jedoch nicht, weshalb steile Abfahrten auf unbefestigten Untergrund zum Nervenkitzel werden können.

Wobei sich Suzukis „Sport Adventure Tourer“ auf der Straße ohnehin wohler fühlt als abseits davon, auch wenn es dank der gut abgestimmten Federelemente mit vorne wie hinten 160 Millimeter Federweg durchaus rumpelig werden darf, einfache und mittlere Schotterpassagen ebenfalls keinerlei Problem sind. Die 43-Millimeter KYB-Upside-Down-Gabel ist voll einstellbar, das Zentralfederbein in der Zugstufe, dazu kann die Vorspannung mittels eines gut zugängigen Einstellrades im Handumdrehen an die jeweilige Beladung angepasst werden. Gewohnt gut ist die Ergonomie auf der V-Strom, ob im Sitzen oder beim Stehendfahren, der 850 Millimeter hohe Sitz ist auch für Mittelgroße einfach zu erklimmen, Wind- und Wetterschutz zählen zu den Besseren ihrer Klasse. An der XT lässt sich das Windschild ohne Werkzeug in einem Bereich von fünf Zentimeter in elf Stufen verstellen – allerdings nur von vorne und daher nicht beim Fahren.

Um fit für 2020 bzw. den Wettbewerb zu sein, werden die Daten aus sechs Eingangsparametern des dreiachsigen Trägheitssensors IMU (Bild links) auch noch für eine Berganfahrhilfe, Stoppie-Control oder beladungsabhängige Bremsdrucksteuerung genützt. All diese elektronischen Zusatz-Gimmicks (mit Ausnahme von Ride by Wire und ABS) stehen aber nur der XT zur Verfügung, die auch sonst noch jede Menge vor allem für die Reise nützliches Zubehör mit dabei hat. Vom Sturzbügel über einen soliden Aluminium-Motorschutz, Handguards, eine zweite 12-Volt-Steckdose unter dem Sitz (neben dem USB-Anschluss im Cockpit), Speichenfelgen, Aufnahmen für die Kunststoff-Koffer bis hin zum praktischen Hauptständer. Auf ein modernes TFT-Farbdisplay wird zwar verzichtet, das LCD-Display liefert aber alle relevanten Informationen auch bei widrigen Lichtverhältnissen sehr gut ablesbar. Die Steuerung durchs Menü erfolgt an den Tasten des gut aufgeräumt wirkenden linken Lenkers intuitiv bzw. selbsterklärend.

Das 19-Zoll-Vorderrad lässt sich spielerisch auch durch engste Kurven steuern, die Serienbereifung ist mit dem Bridgestone Battlecross A41 gut gewählt. Der Gummi bietet auf der Straße ausreichend Grip, liefert gutes Feedback und funktioniert auch im Regen gut. Nichts zu meckern gibt es auch über die Bremsen (vorne beißen sich zwei radial montierte Bremssättel von TOKICO in die 310-Millimeter-Doppelscheiben, hinten steht eine 260-Millmeter-Scheibe zur Verfügung), die die Fuhre zwar auf der Straße jederzeit unter Kontrolle haben, aber auch abseits davon nicht so giftig agieren wie beim Vorgängermodell, wo mir auf Schotter mitunter doch etwas zu bissig verzögert wurde.

Die ganze Frischzellenkur schlug sich allerdings auch auf die Rippen des Tourenmotorrads, das jetzt in der XT-Variante stolze 247 Kilo auf die Waage bringt (beim Standardmodell sind es 236) und im Frühjahr um in Österreich 16.290 bzw. 14.890 Euro beim Händler steht (in Deutschland sind es 14.190 für die XT bzw. 12.790 Euro für die Normale, jeweils zuzüglich Nebenkosten). Ein Gewicht, das man zwar beim Rangieren, nicht aber beim Fahren spürt. Da kann es einem mit der Suzuki V-Strom eigentlich gar nicht weit genug gehen.



+ Durchzugstarker Motor mit Dampf aus allen Lagen und beispielhafter Laufkultur

+ Wunderbare Ergonomie sowohl im Sitzen als auch im Stehen

+ Retro-Optik sehr gut gelungen

– ABS nicht abschaltbar und auch nicht am Hinterrad zu deaktivieren

– Das Gewicht von 247 Kilo ist schon eine Hausnummer

– Ein Quickshifter hätte der üppigen Serienausstattung die Krone aufgesetzt 



Fazit:

 

Suzuki hat auf die Zeichen der Zeit reagiert und seinen seit 2013 fast unverändert gewesenen Dauerbrenner trotz gelungener Retro-Optik modernisiert, ohne dass man dabei das Wesen der V-Strom groß verändert hätte. Denn ihr größter Trumpf ist nach wie vor ihr charaktervoller, durchzugsstarker V2-Motor, der einfach perfekt in diese Reiseenduro passt. Dem andererseits aber auch ein Quickshifter gut zu Gesicht gestanden wäre – dazu, bzw. zu einem modernen TFT-Farbdisplay, konnten sich die konservativen Japaner dann doch wieder nicht hinreißen.

 

Trotzdem bekommt man mit der neuen V-Strom 1050 XT viel Motorrad fürs Geld und vor allem eine verlässlichen Partner, ob für den täglichen Weg ins Büro, die Wochenendtour oder die große Reise!

© 02/2020