Dieser unglaublich milde Spätherbst 2015 war wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk für Motorradfahrer. Und für den zugegebener Maßen eher unwahrscheinlichen Fall, dass dies extra für mich so gewesen ist weil der da oben ein schlechtes Gewissen hatte nachdem ich den Sommer durch meinen Sturz in der Mongolei praktisch verpasste, konnte ich nicht einfach so daheim herumsitzen und startete noch Mitte November eine dreitäge Tour ins Friaul. Es sollten laut Prognosen schließlich die letzten wirklich warmen Tage des Jahres werden. Und es war die beste Idee, die ich seit langem hatte...
Tag 1
Schmerzhafter Verlust
Wien - Graz - Klagenfurt - Villach - Hermagor - Straniger Alm/Passo Polentin - Cason di Lanza - Paularo - zurück auf den Passo Polentin - Paularo - Sutrio
Ich müsste lügen, wenn ich behaupte, dass ich schon wieder so fit wie vor dem Umfall wäre. Gerade das Auf- und Absteigen auf der hohen Enduro bereitet doch noch ein wenig Probleme bzw.
Schmerzen, vor allem mit Gepäck, weil ich das Bein noch nicht so hoch heben kann. Egal - ich musste einfach noch einmal ein wenig Schotter unter die Räder meiner CCM GP 450 Adventure
bekommen und zog daher kurzerhand neue Stollenreifen auf, die ich bis Kärnten auf Asphalt bzw. größtenteils Autobahn leiden ließ, ehe sie dann am Weg auf die Straniger Alm endlich ihrer
Bestimmung zugeführt wurden. Das Wetter hielt, was die Voraussagen versprochen hatten, über die grüne Grenze bzw. den Passo Polentin ging es bei angenehmen Temperaturen nach Italien.
Es wäre ein nahezu perfekter Tag gewesen, hätte ich nicht bei einem kurzen Kamera-Check in der Ortschaft Paularo mit Schrecken entdeckt, dass die am Motorrad montierte Drift-Ghost-Actioncam offenbar auf der holprigen Piste verloren gegangen war. Anstatt wie geplant auf den Monte Paularo zu fahren, ging es daher erneut den engen, kurvigen Cason di Lanza zurück und zweimal die steile Südrampe des Polentin hinauf, an dessen Passhöhe ich die Kamera zuletzt in der Hand gehabt hatte und die Denzel mit SG 4 einstuft. Leider vergebens, sie blieb wahrscheinlich vom hohen Laub am Rande der Strecke "verschluckt" und mit ihr die Aufnahmen vom Steine schluckenden Vorderrrad bzw. die Möglichkeit wechselnder Kamera-Einstellungen für die nächsten Tage.
In Sutrio oder besser gesagt etwas außerhalb des netten, am Fuße des Monte Zoncolan gelegenen Ortes hatte ich in der Trattoria Affittacamere Alle Trotte schon über booking.com ein Zimmer für zwei Nächte reserviert. Das Haus verfügt zwar (noch) über keine eigene Website, ist aber durchaus empfehlenswert: Die Zimmer sind neu eingerichtet und sauber, die 40 Euro inklusive Frühstück ein fairer Preis und das hauseigene Restaurant (Dienstags Ruhetag!) gut und günstig. Dazu kommt ein extrem netter Wirt, aber dazu später im Text.
Tag 2
Ein Höhepunkt jagt den nächsten
Sutrio - Cercivento - Zoufplan - Ravascletto - Comeglians - Val Pesarina - Forcella Ielma - Lago di Sauris - Sella di Rioda - Forcella Laverdet - Comeglians - Sutrio
Am nächsten Morgen machte ich mich bereits um 8 Uhr auf den Weg – im Spätherbst ist man speziell in den Bergen gut beraten, nicht länger als bis etwa 16 Uhr zu fahren und ich hatte mir doch
einiges für diesen Tag vorgenommen. Quasi zum Aufwärmen ging es auf den Zoufplan. Denzel bewertet die anfänglich noch asphaltierte, ab etwa elf Kilometer nach Cercivento (der Einstieg
befindet sich rechts von der Kirche) geschotterte Stichstraße mit SG 4, sie ist aber auch mit schweren Reiseenduros recht einfach zu fahren und nur im oberen Bereich stellenweise etwas gröber.
Auf den Tipp meines Wirtes hin folgte ich unterhalb der schon von weitem zu sehenden Funkstation nicht der Hauptstrecke nach links, sondern hielt mich zunächst rechts, wo schon nach wenigen
hundert Metern ein kleiner See und ein (im November längst verlassenes) Gehöft idyllisch in der Bergwelt liegen.
Mit dem Tiger wäre dort (für mich) Schluss gewesen, die schlanke britische Waldprinzessin hätte es mir aber womöglich übel genommen, wenn ich mich nicht noch gemeinsam mit ihr davon überzeugt
hätte, wohin der nun immer schmaler werdende Weg weiter führt. Wofür hatte ich sie mir schließlich angelacht? Also bin ich den folgenden Anstieg hinauf, durch seine Steilheit war
die größte Herauforderung das Vorderrad im ersten Gang am Boden zu halten. Das Problem, das ich hier mit einer dicken Reiseenduro sehen würde: Man braucht Schwung, um raufzukommen, muss aber
oben an der Kuppe sofort scharf links abbiegen, sonst geht's im freien Fall hinunter. Eine Erfahrung, auf die ich verzichten könnte.
Wobei wenig später ohnehin Ende Gelände ist, zumindest der Weg in ebendiesem verschwindet und die Angelegenheit endgültig zu einer reinen Endurostrecke wird. Danach stand mir jedoch so ganz allein und nicht voll fit weniger der Sinn, weshalb es wieder zurück auf die Hauptroute ging, die unterhalb eines kleinen Observatoriums an einem großzügigen Wendeplatz endet. Von dort führt ein schmaler Weg am Grat der Berge rüber zur Panoramica delle Vette, der jedoch extrem schmal werden soll und dessen Befahrung auch untersagt ist. Zumindest das erste, sichtbare Stück wäre freilich kein Problem gewesen, ich hielt mich jedoch an das Verbotsschild. Am Weg zurück ins Tal traf ich noch ein paar Gleitschirmflieger, von denen sich einer im Gespräch als mehrfacher Team-Weltmeister herausstellte, ich – durch und durch Sportjournalist – vergaß aber seinen Namen…
Kleine Foto-Galerie von den Morgenstunden am Zoufplan:
Anschließend führte mich der Zufall auf eine Strecke, mit der ich ganz besondere Erinnerungen verbinde: Die Forcella Ielma. Wie man zufällig auf einen Schotterpass in knapp 2.000 m Höhe gelangt?
Eigentlich wollte ich zur Forcella Laverdet, als ich im Val Pesarina an einer markanten Brücke vorbei fuhr, die mir sofort bekannt vorgekommen ist. Also bog ich ab, dachte zunächst der Weg führe
mich eben zum Laverdet, ehe ich schon bald realisierte, dass ich durch jenen Wald fuhr, der mich über unzählige Schotter-Kehren auf die Forcella Ielma bringen sollte, nur eben in der umgekehrten
Richtung, in der ich diese im August 2012 mit Michl, Mimoto und Manfred
gefahren war. Die Strecke war anspruchsvoller und nach oben hin etwas gröber geschottert als davor der Zoufplan, die steilsten Stücke sind aber mittlerweile betoniert worden, weshalb SG 4-5 nach
Denzel keinesfalls mehr gerechtfertigt ist.
Schade, speziell dieses letzte Stück vor (bzw. diesmal eben nach) der Passhöhe, auf dem ich damals die Kupplung des Tigers durchbrannte und wir uns richtiggehend "hochgekämpft" hatten, wäre ich nur zu gerne mit der CCM auf- und abgefahren. An der Passhöhe auf knapp 2.000 Metern legte ich eine Pause ein und war in Gedanken dem leider viel zu früh verstorbenen Michl nahe, wie seit jenem Tag nicht mehr, an dem er zu Grabe getragen wurde. Die Einsamkeit dort oben machte mich richtiggehend melancholisch, ich konnte ihn förmlich vor mir sehen, wie euphorisiert und stolz er an diesem Ort darüber gewesen war, seinen Tiger dort raufgebracht zu haben, ohne ihn auch nur einmal hinzulegen. Hätte ich eine Kerze dabei gehabt, ich hätte sie für ihn genau dort angezündet.
Kleine Fotogalerie Forcella Ielma:
Am Weg hinunter zum Lago di Sauris hätte man auch zur Malga Losa abbiegen können, ich wollte aber unbedingt noch die Forcella Laverdet fahren, deren atemberaubende, bestens asphaltierte Kehrenfolge inmitten der Schotterstrecke mich immer wieder aufs Neue fasziniert. Der unbefestigte Rest ist sowieso ganz nach meinem Geschmack und je nach Niederschlagshäufigkeit jedes Mal in einem völlig anderem Zustand. Davor ging es noch kurvenreich auf guten Straßen über die Sella di Rioda – mit wunderbaren Ausblicken und jeder Menge Kehren eine schöne Alternative zu vielen bekannteren Alpenpässen im Friaul:
An der Süd-Zufahrt zur Forcella Laverdet war neben dem schon letztes Jahr angebrachten Fahrverbotsschild (Haftungs-Ausschluss) noch ein Hinweis auf Muren-Abgänge, von denen ich unterwegs
allerdings nichts bemerkte - die Strecke wäre auch mit einem PKW problemlos zu bewältigen gewesen. Dass die 32-GB-Speicherkarte der Helmkamera kurz nach der markanten Brücke über die ehemalige
Flussdurchfahrt auf etwa halber Strecke wegen Überfüllung weitere Dienste verweigerte, war in Anbetracht der Fülle an bereits abgespeicherten bewegten Bilder dieses Tages zu verkraften und im
Vergleich zum Verlust der Cam am Vortag ein eher kleineres Hoppala. Dafür kostete ich die bereits erwähnten, 14 eng übereinander liegenden, schwindlich machenden Kehren so richtig aus, in dem ich
den Abschnitt gleich mehrmals auf- und abgefahren bin - ich war richtiggehend überrascht, wie gut die Mitas-Motocrossreifen am Asphalt hielten.
Kleine Fotogalerie der Forcella Laverdet:
Tag 3
Atemberaubende Ausblicke
Sutrio - Comeglians - Panoramica delle Vette - Ravascletto - Paluzza - Ligosullo - Monte Paularo - Paularo - Cason di Lanza - Passo Polentin - Straniger Alm - Jenig - Hermagor - Arnoldstein -
Villach - St. Veit/Glan - Dürnstein/Stmk. - Neumarkt/Stmk. - Judenburg - Leoben - Wr. Neustadt - Wien
Der Mittwoch startete gleich mit einer positiven Überraschung. Weil die Putzfrau in meinem Quartier tags davor verschollen geblieben war, ließ mich der Wirt beim Auschecken als "Entschuldigung" das aufs Zimmer geschriebene Essen vom ersten Abend nicht bezahlen - ohne seinen Hinweis wäre es mir gar nicht aufgefallen, dass nicht aufgeräumt wurde... und auch das Wetter war anders als prophezeit nicht schlechter als an den ersten beiden Tagen, ganz im Gegenteil! Nur beim Losfahren in der Früh hatte es im Nebel noch frostige 3 Grad, mit jedem Höhenmeter hinauf zur Panoramica delle Vette stieg aber auch das Termomether und oben auf knapp 2.000 Meter blieb einem bei wirklich angenehmen Temparaturen der Mund offen stehen in Anbetracht der Ausblicke auf das gigantische Nebelmeer, das sich unten im Tal breitmachte.
Kleine Fotogalerie der Malga Chiadinis (Panoramica delle Vette):
Anschließend ging es über Ligosullo weiter zum Monte Paularo, der jedoch wegen Instandsetzungsarbeiten im unteren Bereich für den Verkehr gesperrt war. Die freundlichen Bauarbeiter winkten mich aber nicht nur vorbei, sie machten mit ihren Baggern bzw. Baumaschinen auch jedes Mal extra Platz für mich, so dass ich auch dieses Schotter-Schmankerl praktisch für mich alleine genießen konnte. Lediglich ein Stück unterhalb des Gipfels traf ich auf ein paar Wanderer, die freundlich grüßten und auch ein Erinnerungsfoto von mir und der Waldprinzessin mit meinem Handy schossen. Obwohl der Paularo mit SG 3-4 leichter bewertet wird als der tags davor unter die Räder genommene Zoufplan, empfand ich die Strecke als etwas anspruchsvoller. Die Aussicht ist jedenfalls wieder überwältigend gewesen.
Randsicherung gibt es nur auf einem kurzen Stück an der Südflanke des Monte Dimon oberhalb des winzigen Gebirgsees Lago Dimon, ansonsten fährt man die teils doch recht grob geschotterte Strecke doch meist am steilen Abgrund entlang – nichts für Leute mit Höhenangst. Der Weg endet, zumindest für schwere Reiseenduros, auf einem Wendeplatz etwa 100 Meter unterhalb des Gipfels des Monte Paularo. Danach führen zwar noch schmale Tracks weiter in die Berge, da es bereits Mittags war und ich noch an diesem Tag zurück nach Hause musste, fehlte mir die Zeit, diese näher zu erkunden.
Kleine Fotogalerie vom Monte Paularo:
Danach schaffte ich es mit den letzten Tropfen Sprit gerade noch zu einer Tankstelle, ehe es wieder über den Passo Polentin bzw. die Straniger Alm zurück nach Kärnten ging. Habe ich schon erwähnt, dass ich die steile Südrampe immer wieder gerne fahre? Die verlorene Helmkamera wollte jedoch auch im dritten Anlauf nicht mehr gefunden werden…
Der Rest der Tour ist rasch erzählt: Über St. Veit an der Plan ging's in die Steiermark, in Judenburg bei einsetzender Dunkelheit auf die S2 und schließlich über die A2 bis Wien, wo ich (fast) rechtzeitig zu einem Stammtisch mit Gleichgesinnten eingetroffen bin.
Fazit:
Es waren drei wunderbare Tage in einer meiner absoluten Lieblings-Gegenden, die mir noch einmal die Akkus für die kalte Jahreszeit aufladen ließen, in der ich zwar zumindest den Tiger auch weiter
regelmäßig bewege, derartige Touren aber nicht unternehmen kann bzw. will. Unglaublich, aber wahr: Bei Postkarten-Wetter bin ich im Friaul nur einem einzigen (!) anderen Motorradfahrer begegnet
(im Unterschied zur An- und Abreise durch Österreich), und zwar auf den asphaltierten Kehren im Mittelstück der sonst geschotterten Laverdet-Strecke. Für das operierte Bein war offenbar die
Beanspruchung des Stehendfahrens über zum Teil recht rumpelige Pisten doch eine Art "Rosskur", am Abend des zweiten und dritten Tages die Schmerzen einigermaßen unangenehm, um es vornehm
auszudrücken. Aber auch das ist es mir wert gewesen, zumal ich in den kommenden Monaten ohnehin genug Zeit habe, wieder jene Fitness zu erlangen, die mich Abends wieder entspannt aus den
Cross-Stiefeln steigen lässt.
Mein neuer Helm:
Seit März fahre ich mit dem Touratech Aventuro Pro Carbon Jetzt bereit zur Anprobe & Testfahrt bei www.touratech.at
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Kontakt:
Reisen ist tödlich
für Vorurteile.
Mark Twain
Unter Motorradfahrern gibt es keine Fremden - nur Freunde, die man noch nicht getroffen hat.
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